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Jetzt anmeldenLebensmittel, Kleidungsstücke und Automobile haben eines gemeinsam: Sie sind Produkte, die bei ihrer Herstellung einen umfangreichen Produktionsprozess durchlaufen. Mit über 18.000 Industrieunternehmen spielt die Produktionsbranche eine wichtige Rolle in der niedersächsischen Wirtschaft. Namhafte Produzenten der Automobilindustrie, der Luft und Raumfahrttechnik, der Medizintechnik und der Elektronikindustrie führen Produktionsstätten in Niedersachsen. So unterschiedlich ihre Produkte auch sind, die Betriebe stehen vor ähnlichen Problemen. Der globale Absatzmarkt setzt sie unter Druck: Innovations- und Produktlebenszyklen werden immer kürzer, die Komplexität der Prozesse immer umfangreicher und Anforderungen bzgl. der Kundenindividualität, Qualität und Sicherheitsstandards immer höher. Um sich im internationalen Wettbewerb einen Vorteil zu verschaffen, ist es nötig, die Produktionsprozesse zu optimieren und so die Wirtschaftlichkeit zu steigern.
Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, bietet die Digitalisierung der Produktion. Digitale Innovationen können komplexe Prozesse analysieren und selbstständig auf Fehlerquellen hinweisen. Dadurch können konkrete Vorschläge zur Verbesserung generiert werden. Bei der Implementierung solcher Technologien gibt es allerdings Barrieren. Investitionsunsicherheiten und Fragen der Wirtschaftlichkeit hindern Unternehmer*innen, digitale Technologien einzusetzen. Häufig fehlen auch Konzepte für sichere Daten und IT-Infrastrukturen und praxistaugliche Methoden zur Datenauswertung. Des Weiteren gibt es oftmals Probleme bei der Konfiguration komplexer cyberphysischer Produktionssysteme (eine Vernetzung aus mechanischen Maschinen und moderner Informationstechnik zur Steuerung des Produktionsprozesses). Außerdem mangelt es an Fachkräften, die über ein entsprechendes Fachwissen verfügen. Diese Faktoren erschweren es, eine durchgängig digitale Produktionskette einzuführen. An diesem Punkt setzt das Zukunftslabor Produktion des ZDIN an.
Digitale Innovationen können Produktionsprozesse optimieren und den Industrieunternehmen einen deutlichen Vorteil im Wettbewerb verschaffen. Das Zukunftslabor Produktion untersucht Digitalisierungsansätze in der industriellen Fertigung am Beispiel der Prozesskette im Druckguss. Die zentralen Fragestellungen sind hierbei die Vernetzung von produktionstechnischen Systemen, die Modellierung der Prozesse sowie gesamter Prozessketten und deren selbstständige Optimierung.
Die Wissenschaftler*innen entwickeln und untersuchen Technologien, die Fertigungsverfahren und Produktionsabläufe möglichst selbstständig – also ohne menschliches Eingreifen – optimieren. Voraussetzung dafür ist eine durchgängig digitale Produktionskette, die die Elemente des Fertigungsprozesses miteinander verknüpft. Durch die digitale Vernetzung der Produktion können einzelne Schritte und gesamte Prozesse virtuell abgebildet (modelliert) und anschließend optimiert werden. Das Zukunftslabor arbeitet exemplarisch mit Prozessen der Druckgussindustrie, die metallische, gewichtsoptimierte Bauteile herstellt (z. B. Strukturbauteile für die Fahrzeugkarosserie oder auch Bauteile für die Luftfahrtindustrie). Dieses Verfahren arbeitet mit dauerhaft beständigen Formen, die wiederverwendet werden können und somit für die wirtschaftliche Fertigung mittlerer bis großer Serien geeignet sind. Beim Druckguss wird geschmolzenes Metall mit sehr hohem Druck in Stahlformen gegossen bzw. gedrückt. Dafür wird ein Druckgusswerkzeug verwendet, das in der Herstellung sehr kostspielig und damit wertvoll ist. Der Druckgussprozess eignet sich besonders für das Forschungsvorhaben, da er sehr komplex ist. Im Druckguss werden unterschiedliche Fertigungsverfahren (z. B. Druckgießen und Spanen) miteinander verkettet.
Die Wissenschaftler*innen erarbeiten in fünf zusammenhängenden Teilprojekten konkrete anwendungsfähige Lösungsansätze, die zur durchgehenden Digitalisierung der Produktion beitragen sollen.
THEMENSCHWERPUNKTE
INTELLIGENTE WERKZEUGSYSTEME
Im ersten Teilprojekt wird die Basis für Intelligente Werkzeugsysteme gelegt. Intelligente Werkzeuge sind Bestandteile einer vernetzten Produktion. Sie analysieren Prozessschritte und treffen Entscheidungen zur Optimierung. Die Forschenden des Zukunftslabors Produktion entwerfen ein intelligentes Werkzeug für den Druckguss, das die spezifischen geometrischen und qualitätsrelevanten Randbedingungen der Fertigung abbildet und gezielt kritische Eigenschaften eines Druckerzeugnisses provoziert (z. B. Porosität). Anschließend simulieren die Wissenschaftler*innen den Druckgießprozess virtuell, damit sie möglichst viele Wirkungszusammenhänge zwischen den einzelnen Produktionsfaktoren erkennen können. Intelligente Werkzeuge – so auch das Druckgießwerkzeug dieses Teilprojekts – verfügen außerdem über eine geeignete Sensorik. Sie dient dazu, prozessspezifische Größen zu messen und zu erfassen, die durch die Gießsimulation erkannt werden. Außerdem steuert die Sensorik die Funktion des Bauteils und speist die Prozessdaten in ein IT-System ein („Sensor-to-the-Cloud-Konnektivität“), um weitere Analysen vorzunehmen. Hier können auch Methoden des Maschinellen Lernens zum Einsatz kommen, die auf der Basis von Algorithmen große Datenmengen verarbeiten und z. B. Prozessanomalien erkennen können.
Der Produktionsprozess wird von vielen unterschiedlichen Parametern beeinflusst. Um die Wirkungszusammenhänge der Einflussfaktoren auf die Produktionsergebnisse zu erkennen, arbeiten wir mit einer statistischen Versuchsplanung, dem sogenannten Design of Experiment. Dabei untersuchen wir die einzelnen Variablen weitgehend unabhängig voneinander, sodass wir deren Effekte auf die Zielgrößen ableiten können. Mit dieser Vorgehensweise ist es möglich, Fertigungsprozesse systematisch zu verbessern.
Neben der Erstellung des Druckgießwerkzeugs und der Simulation des Gießprozesses arbeiten die Forschenden dieses Teilprojekts an einer Referenzplattform, die die Sensordaten erfasst. Sie wird zur Steuerung und Überwachung des Prozesses eingesetzt. Dafür ist es notwendig, die Plattform mit einer leistungsfähigen algorithmischen Verarbeitungseinheit auszustatten, Schnittstellen für Automatisierungsprozesse zu ermöglichen, eine Hardware und Software zur schnellen Datenaufnahme und -verarbeitung einzusetzen sowie eine echtzeitfähige Kommunikation zu gewährleisten.
AUTOMATISCHE MODELLIERUNG SPANENDER FERTIGUNGSPROZESSE
Beim Teilprojekt „Automatische Modellierung spanender Fertigungsprozesse” geht es darum, den Fertigungsprozess mithilfe Künstlicher Intelligenz zu optimieren. Hierfür werden Daten und Erkenntnisse aus der Prozesssimulation bereitgestellt. Das (Zer-)Spanen bezeichnet ein Fertigungsverfahren, das den Werkstücken durch Materialabtrag eine bestimmte geometrische Form gibt. Dazu zählen das Drehen, Bohren, Fräsen und Schleifen. Die dafür erforderlichen Werkzeugmaschinen sollen im Sinne eines „Plug & Produce“-Konzepts flexibel und mit geringem Aufwand in die existierende Produktionsumgebung eingebunden werden. Mithilfe eines digitalen Zwillings (einer digitalen, rechnergestützten Abbildung der Werkzeugmaschinen) soll ermöglicht werden, prozessuale Zusammenhänge der realen Werkzeugmaschine (z. B. Prozesszeit, Qualität, Werkzeugverschleiß) virtuell kostengünstig und schnell zu testen.
Durch die Verschmelzung der realen Produktionsumgebung mit ihrem virtuellen Abbild und den Aufbau von fertigungstechnischen Regelkreisen lassen sich adaptive und selbstlernende Systeme aufbauen, massendatenbasierte Prognosen vornehmen und schließlich eine hochflexible Fertigung nach dem Vorbild „Plug & Produce“ umsetzen.
Erfolgreiche Konfigurationen können dann in die Realität übernommen werden. Mithilfe einer intelligenten Verarbeitungseinheit (Intelligent Processing Unit, IPU), die Steuerungsinformationen, Daten aus der vorgelagerten CAD/CAM-Planung (computergestützte Konstruktion und Fertigung) sowie Prozessdaten aus der Fertigung verarbeitet, werden Methoden der Künstlichen Intelligenz auf das Prozessmodell für die spanende Fertigung angewandt. Ziel ist es, selbständig Prozessanomalien zu erkennen und Prozesse darauf automatisiert zu adaptieren. Außerdem sollen Prozessstellgrößen optimiert werden, um einen möglichst stabilen Prozess mit hoher Fertigungsgenauigkeit zu erreichen. Die Forschenden verwenden dazu Daten aus der Simulation, um den Prozess anzupassen.
ADAPTIVE PROZESSFÜHRUNG IM DRUCKGUSS
Das Teilprojekt „Adaptive Prozessführung im Druckguss” beschäftigt sich mit der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Fertigungsprozessen und Prozessketten, die sich selbstständig optimieren (Adaptivität). Im Anwendungsbeispiel des Druckgusses werden die Bereiche Gießprozesssimulation, Prozessanalyse, Messtechnik und Prozessführung miteinander vernetzt. Auf der Grundlage der Gießprozesssimulation des ersten Teilprojekts können virtuell Optimierungen des Prozesses erkannt werden. Damit wird es möglich, robuste Prozessfenster für die Steuerung der Druckgießmaschine zu definieren und bei Bedarf geeignete Alternativen aufzuzeigen. Ziel ist es, bei Anfahrprozessen und im Falle von externen Störungen geeignete Fertigungsparameter bereitzustellen, um zügig wieder eine akzeptable Bauteilqualität zu erreichen. Ein weiteres Ziel dieses Teilprojekts besteht darin, eine autonome, maschinenunabhängige Prozessplanung zu etablieren, bei der bereits gewonnene Daten aus der Gießprozesssimulation eingebunden werden. Die Daten können dafür eingesetzt werden, optimale initiale Gießparameter zu bestimmen und in hersteller- und maschinenspezifische Einstelldaten zu transformieren. Damit wird es möglich, Druckgießmaschinen automatisch zu starten, die aktuell noch manuell in Betrieb genommen werden. Hierbei wird auf die Sensorarchitektur des ersten Teilprojekts zurückgegriffen, auf deren Grundlage die virtuelle Prozessoptimierung und –planung stattfindet.
Wir erarbeiten ein System zur Erfassung und Verarbeitung von Prozessdaten aus industriellen Gießprozessen. Unter zusätzlicher Einbeziehung von Daten aus Gießprozesssimulationen kann somit das Wissen aus vergangenen Fertigungszyklen für eine verbesserte Fertigung sowie auch für die Entwicklung und Prozessplanung neuer Bauteile effizienter genutzt werden. Im Fokus liegt hier insbesondere die bessere Verknüpfung der gewonnenen Daten aus Produkt- und Prozessentwicklung sowie Daten aus realen Fertigungsprozessen mit dem Ziel einer autonomeren.
PLANUNG UND STEUERUNG REKONFIGURIERBARER PROZESSKETTEN
Im Teilprojekt „Planung und Steuerung rekonfigurierbarer Prozessketten” geht es um Methoden für die adaptive Planung und Steuerung der Fertigungsprozesse entlang einer überbetrieblichen Prozesskette. Im ersten Schritt untersuchen die Forschenden im Rahmen einer webbasierten Produktionsplanung und -steuerung (PPS), wie Prozessketten effizient geändert werden können. Dafür erstellen sie ein Datenmodell zur Gestaltung rekonfigurierbarer Prozessketten, die mithilfe von Maschinellem Lernen komplexe Aufgaben der PPS automatisiert bewältigen können. Ziel ist es unter anderem, mit einem Softwareprototypen herauszufinden, wie Unternehmen komplexe Zusammenhänge der Prozessparameter überwachen und die gewonnenen Informationen für die Regelung der Prozessketten nutzen können. In einem weiteren Schritt untersuchen die Forschenden anhand eines Softwareprototyps für den Druckguss Methoden für eine adaptive, unternehmensübergreifende Prozesskettenregelung. In einem weiteren Schritt identifizieren die Forschenden Wertschöpfungspotenziale von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Produktion. Dazu werden qualitative Experteninterviews mit produzierenden Unternehmen zu dem aktuellen Umsetzungsgrad durchgeführt. Neben der Anwenderebene richtet sich die Befragung an Anbieter von Dienstleistungen, die produzierenden Unternehmen bei der Durchführung von KI-Projekten unterstützen. Nach einer Systematisierung von Methoden und Einsatzfeldern werden mit Partnerunternehmen Einsatzszenarien definiert sowie Empfehlungen und Randbedingungen für den Einsatz von KI in der Praxis erarbeitet.
Durch innovative Methoden der Vernetzung, Modellierung und Optimierung können digitale Prozessketten in der Produktion aufgebaut und geschlossen werden. Die hieraus resultierende bidirektionale Kommunikation zwischen physischen und virtuellen Prozessen bildet die Grundlage für eine selbstständige Optimierung einzelner Produktionslogistikprozesse sowie der gesamten Prozesskette.
IT-INFRASTRUKTUR UND SICHERHEIT
Das Teilprojekt „IT Infrastruktur und Sicherheit” verfolgt das Ziel, einen sicheren und auch standortübergreifenden Informationsaustausch zu ermöglichen, um benötigte Daten für die Produktionsprozesse bereitzustellen. Die Wissenschaftler*innen analysieren, wie sich die Prozessanforderungen in einer IT-Architektur für eine flexible und modulare IT-Infrastruktur abbilden lassen, die auf dem Datenaustauschstandard für die industrielle Kommunikation OPC-UA basiert.
Eine Datenschicht ermittelt, speichert und analysiert Daten, die in den verschiedenen Prozessen (Werkzeugkonstruktion, Werkzeugfertigung, Einfahrprozess, Druckguss, spanende Bearbeitung) erfasst werden. Außerdem stellt die Datenschicht den Informationsfluss innerhalb der Prozesskette sicher und ermöglicht eine standortübergreifende und sichere Integration von Datenquellen. Eine Algorithmenschicht orientiert sich an den Anforderungen der anderen Teilprojekte, die zur Analyse der Daten Methoden des maschinellen Lernens anwenden. Um die IT-Infrastruktur und Sicherheit zu ermöglichen, definieren die Forschenden unterschiedliche Klassen von Daten (z. B. CAD-Daten, Produktionsdaten, Echtzeitdaten) und legen entsprechende Anforderungsprofile bezüglich der Datensicherheit fest. Für die standortübergreifende Datennutzung werden neben technischen Konzepten ebenfalls Konzepte zur Wahrung der Rechtspositionen der Beteiligten entwickelt (Urheberrecht, Schutz gegen Nachbau).
Es ist wichtig, interne und externe Schnittstellen von prozess- und unternehmensübergreifenden Produktionsabläufen zu identifizieren, um eine Datendurchgängigkeit und Datenkonsistenz entlang der Prozesskette zu erreichen. Die prozesskettenspezifische Gestaltung wiederum ist nötig, um die Datentransparenz zwischen den Prozessmodellen der digitalen Fertigungskette und der realen Fertigungsebene zu erhöhen und gleichzeitig die Sicherheit der Daten zu gewährleisten.