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Jetzt anmeldenFür eine nachhaltige und klimafreundliche Energieversorgung ist ein grundlegender Umbruch erforderlich: Fossile Energieträger sollten zunehmend durch erneuerbare Energiequellen ersetzt werden, um die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen. Außerdem werden geopolitische Abhängigkeiten von gas- und stromliefernden Ländern reduziert, wenn die Energie zunehmend im Inland aus Wind, Wasser und Sonne erzeugt wird. Dies rückt einen wirtschaftlichen Aspekt des Klimawandels in den Vordergrund: Energie muss bezahlbar bleiben – für Privatpersonen und Unternehmen. Aus diesen Gründen wird die Erzeugung, Verteilung und Nutzung erneuerbarer Energie nicht nur unter dem ökologischen Aspekt immer wichtiger, sondern auch unter dem ökonomischen und sozialen. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ermöglichen es, die schwankende und nicht steuerbare Energieerzeugung aus Sonne und Wind nutzbar zu machen und Verbraucher*innen zum gewünschten Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen.
Anforderungen an Simulationsmodelle für IKT ermittelt
In digitalisierten Energiesystemen gibt es Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Energiesektoren, wie Strom und Wärme, sowie den IKT-Systemen. Simulationen tragen dazu bei, diese Abhängigkeiten besser zu verstehen und kritische Wechselwirkungen zu identifizieren. Dafür analysierten die Wissenschaftler*innen zunächst, welche Anforderungen Simulationsmodelle und deren Co-Simulationen erfüllen müssen. Co-Simulationen dienen dazu, verschiedenen Subsysteme (z. B. Anlagemodelle, Steuerungseinheiten) verteilt zu simulieren. Je nach Fokus des vorliegenden Anwendungsfalls (technisch oder ökonomisch) ergeben sich unterschiedliche funktionale sowie nicht-funktionale Anforderungen an die Modelle: Bei den funktionalen Anforderungen geht es z. B. um die Ein- und Ausgaben des Modells oder um das Verhalten. Nicht-funktionale Anforderungen beziehen sich z. B. auf die Auflösung oder auf die technischen Schnittstellen. Auf Basis dieser Anforderungen können die Wissenschaftler*innen im nächsten Schritt geeignete Simulationsmodelle identifizieren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Teile des Szenarios experimentell über die Laborinfrastrukturen der Projektpartner nachzubilden und zu koppeln. Der Vorteil der Kopplung besteht darin, auf existierende Hardware der Partner zurückzugreifen und so kostspielige Anschaffungen zu vermeiden. Aber auch der Austausch und die gemeinsame Nutzung von Expertise in spezifischen Bereichen wird so gefördert und gewinnbringend genutzt.
Für die Implementierung der IKT-Modelle innerhalb der geplanten Simulationsumgebung mussten zunächst die Anforderungen an diese Implementierung genau spezifiziert werden. Dies umfasste auf der einen Seite den benötigten Detaillierungsgrad der IKT-Systemmodellierung und auf der anderen Seite nicht-funktionale Anforderungen, wie z.B. Laufzeitbeschränkungen für die Berechnungsmodule. Auf Basis dieser Spezifikationen können anschließend technische Implementierungsentscheidungen effizient getroffen werden, da alle Beschränkungen klar definiert sind.
Durchstichszenarien konkretisieren Wechselwirkungen von IKT
Um herauszufinden, welche Abhängigkeiten sensibel bzw. kritisch sind, identifizierten die Wissenschaftler*innen im vergangenen Jahr sechs Anwendungsfälle. Darin betrachten sie folgende Aspekte der IKT: Effizienz und Optimalität, Technologieakzeptanz, Gebäudeoptimierung, Verbundoptimierung, Flexibilitätsvermarktung, robuster Netzbetrieb. In diesem Jahr konkretisierten sie diese Anwendungsfälle und leiteten daraus fünf Durchstichszenarien ab. Diese dienen dazu, mehrere technische Komponenten des Energiesystems miteinander zu koppeln – in Form eines Integrationstests. In den Durchstichszenarien analysieren die Wissenschaftler*innen unterschiedliche Schwerpunkte und Problemstellungen sowie dazugehörige Forschungsfragen zu folgenden Themen: Flexibilität, IKT-Störungen, E-Mobilität, Gebäude und Netzbetrieb.
Im ersten Durchstichszenario wird die Flexibilität eines Heizungs-, Lüftungs- und Klimasystems (HLK) genutzt, um Probleme im Stromnetz zu lösen. Problematisch ist es z. B., wenn Strom kurzzeitig sehr stark nachgefragt wird und dadurch das Versorgungsnetz stark belastet ist (sogenannte Lastspitzen). Flexibilitäten können versorgungskritische Ungleichgewichte zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch ausgleichen. In der Simulation werden die Wissenschaftler*innen Gebäude einschließlich ihrer HLK simulieren und damit die Flexibilität der Anlagen ermitteln. Dabei werden sie die Flexibilität mehrerer Gebäude aggregieren und verwenden, wenn die Netzsimulation Probleme anzeigt (z. B. Spannungsbandverletzungen oder Netzengpässe). Das Szenario kann zu einem späteren Zeitpunkt um Elektromobilität, Speichersysteme, Vermarktung von Flexibilität und/oder Wärmenetze erweitert werden.
Das zweite Szenario thematisiert Störungen von IKT in digitalisierten Energiesystemen. Jede Komponente (z. B. Photovoltaik, Batteriespeicher) hat einen Software-Agenten, der mit den Agenten anderer Komponenten kommuniziert. In der Simulation prüfen die Wissenschaftler*innen, ob der Ausfall einer Komponente Auswirkungen auf die anderen hat. Sie werden die Simulation des Kommunikationsnetzwerkes mit der des Energiesystems koppeln und anhand dessen Ausfälle oder Informationsverzögerung untersuchen. Damit können sie feststellen, wie sich die Leistungen des IKT-Systems auf das digitalisierte Energiesystem eines Quartiers auswirken.
Beim dritten Durchstichszenario geht es darum, die Auswirkungen der zunehmenden Anzahl von Elektrofahrzeugen auf das lokale Niederspannungsnetz eines bestehenden Quartiers zu analysieren. Der Energieverbrauch von Elektrofahrzeugen wird überwiegend durch private Ladepunkte gedeckt, die an das Niederspannungsnetz angeschlossen sind. Dadurch entstehen Spitzenlastfälle, die bei der Netzplanung von Quartieren i. d. R. nicht berücksichtigt waren, wodurch kritische Netzsituationen entstehen können. In das Szenario können weitere Faktoren eingebunden und ansprechend visualisiert werden (z. B. CO2-Emissionen, Photovoltaikanlagen und Batteriespeichersysteme).
Im vierten Szenario erstellen die Wissenschaftler*innen das Modell eines Mehrfamilienhauses inkl. Wetterdaten, Heizbedarf und Wärmeversorgungssystem über eine Wärmepumpe. Ziel dieses Szenarios ist es, Lastgänge für ein Jahr zu simulieren, die Ergebnisse grafisch darzustellen und auf Plausibilität zu prüfen. Außerdem sollen notwendige Schnittstellen zwischen den Komponenten des Energiesystems in der Co-Simulation getestet, optimiert und standardisiert werden.
Die Simulation von Versorgungsstrukturen erfordert genaue Beschreibungen und Modelle der Einzelkomponenten. Hierzu gehören technische Betriebsparameter, Schnittstellen zu den unterschiedlichen Sektoren und Informationssystemen, sowie generelle Randbedingungen wie gesetzliche Vorgaben und ökonomische Aspekte. Mit unserem Labor können wir die Modellierung technischer Aspekte und Schnittstellen teils vermeiden, indem wir die realen Komponenten, z. B. eine Ladesäule, mit unserer Simulationsumgebung koppeln. Damit steigern wir nicht nur die Genauigkeit, sondern erreichen auch einen großen Zeitvorteil, weil die Modellierung entfällt. Der nächste große Schritt ist die Kopplung von ganzen Laboren der Projektpartner. Damit stehen uns neue Möglichkeiten wissenschaftlicher Zusammenarbeit oder Kooperationsmöglichkeiten mit Praxispartnern zur Verfügung.
Das fünfte Durchstichszenario soll Aufschluss darüber geben, inwiefern zukünftige, zunehmend digitalisierte Energiesysteme, wie gewohnt sicher und stabil betrieben werden können. Volatile erneuerbare Erzeugung oder geplante Flexibilität bei Verbraucher*innen und Einspeiser*innen sind dabei Gegenstand der Untersuchungen. Die Besonderheit ist, dass diese in Form von gemeinsamen Laborexperimenten an verschiedenen Standorten stattfinden. Dazu werden für sich eigenständigen Labore über das Internet zu einem virtuellen Großversuch verkoppelt.
Diese fünf Szenarien werden die Wissenschaftler*innen im weiteren Projektverlauf näher untersuchen. Daraufhin werden sie prüfen, ob alle Aspekte der Anwendungsfälle anhand der Durchstichszenarien bearbeitet wurden oder ob noch weitere Durchstichszenarien erforderlich sind.
Die Vision einer FuE-Plattform für die Energieforschung
Die Erkenntnisse der Wissenschaftler*innen sind auch für andere Forschungsprojekte, für Unternehmen der Energiebranche und für Bürger*innen interessant. Deshalb entwickelt das Zukunftslabor Energie eine Forschungs- und Entwicklungsplattform, die Akteure aus Wissenschaft und Praxis vernetzen sowie Erkenntnisse und Modelle zugänglich machen soll. Die Plattform soll über fünf Elemente verfügen: Kompetenz, Best Practices, Repository, Simulation sowie Transparenz. In diesem Jahr ging es darum, diese Inhalte zu konkretisieren und eine Vision zu entwickeln:
Das Element „Kompetenz“ richtet sich insbesondere an Wissenschaftler*innen und Forschungseinrichtungen, die ausgehend von einer Forschungsfrage oder einem Entwicklungsziel passende (Forschungs-) Partner (Arbeitsgruppen, Testlabore, Unternehmen, etc.) suchen. Es ist eine Übersicht der einzelnen Kompetenzen vorgesehen sowie eine gezielte Filterung nach bestimmten Eigenschaften und Forschungsinteressen. Das Element soll auf dem digitalen Partnernetzwerk des ZDIN aufbauen und eng mit dem Energie-Forschungszentrum Niedersachsen (EFZN) verzahnt werden.
Die „Methods“ sollen bei der Auswahl geeigneter Methoden und Szenarien helfen und richten sich vor allem an Wissenschaftler*innen und wirtschaftliche Forschungspartner. Im Rahmen der Best Practices sollen Beispiele zur guten Vorgehensweise bei großen Projekten und Versuchen beschrieben werden. Außerdem sollen Erfahrungen zur Erstellung von Projektanträgen gesammelt werden, sodass dieser Vorgang in Zukunft vereinfacht wird.
Das „Repository“ der Plattform soll basierend auf einem Zielszenario oder einem Forschungskontext bei der Auswahl von Modellen, Daten und Komponenten unterstützten. Dieses Element ist für Wissenschaftler*innen und für Unternehmen aus der Energieforschung hilfreich. Das Repository (Verzeichnis zur Speicherung von Programmen, Publikationen, Datenmodellen oder Verfahren) soll keine Daten oder Software bereitstellen, sondern auf bestehenden Repositorien verweisen bzw. entsprechende Weblinks bereitstellen. Eine enge Verzahnung mit der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist vorgesehen.
Das Element „Simulation“ unterstützt beim Zusammenführen und Koppeln verschiedener Simulationsmodelle. Eine Kopplung von Laborinfrastruktur wird ebenfalls angestrebt. Diese Säule adressiert Wissenschaft, Wirtschaft, Öffentlichkeit und Politik.
Bei dem Element „Transparenz“ geht es darum, Forschungsergebnisse für verschiedene Stakeholder aufzubereiten und zugänglich zu machen. Die Ergebnisse sollen einen breiten Diskurs – insbesondere auch mit der Gesellschaft – ermöglichen und in Lehre und Forschung einsetzbar sein. Die Transparenz soll die Sichtbarkeit der Forschung erhöhen und zeitgleich auch eine Grundlage für weitere Forschung legen. Sie richtet sich an Wissenschaft, Wirtschaft, Öffentlichkeit und Politik.
Auf der Plattform können auch Demonstratoren sichtbar gemacht werden, wie z. B. unser open access Web-Tool NESSI. NESSI steht für Nano Energy System Simulator. Mit dem Tool können Hauseigentümer*innen, Vermieter*innen und Unternehmen prüfen, welche dezentralen Technologien für die Energieversorgung ihres Gebäudes nachhaltig und rentabel sind. NESSI simuliert elektrische und thermische Energieflüsse und berechnet nötige Investitionen, jährliche Kosten und lokale Treibhausgasemissionen. Damit ermöglicht NESSI, die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen eines individuellen Energiesystems zu quantifizieren und so ein nachhaltiges Energiesystem für Neubauten und Bestandsgebäude zu identifizieren.
Vergleiche und Interviews konkretisieren die Plattformvision
In der Energieforschung gibt es bereits Webseiten, die einzelne Aspekte der fünf Elemente anbieten. Es gibt aber noch keine Plattform, die alle genannten Bereiche zur Verfügung stellt. Dies ist das Ziel des Zukunftslabors Energie: ein zentrales und umfassendes Angebot für die Energieforschung. Um die Inhalte der Elemente zu konkretisieren, verglichen die Wissenschaftler*innen zunächst 22 bereits vorhandene Angebote. Aus dem Vergleich leiteten sie interessante Aspekte ab, die für die Plattform relevant sein könnten. Den Vergleich der bereits existierenden Plattformen nutzten die Wissenschaftler*innen außerdem dafür, Interviews mit Stakeholdern aus Wirtschaft und Wissenschaft vorzubereiten. Mit diesen ermittelten sie die Anforderungen der verschiedenen Interessengruppen, um diese in die Plattform einfließen zu lassen.
Uns war es wichtig, die Vielseitigkeit der Stakeholder und ihre individuellen Bedürfnisse an solch eine Plattform abzubilden. Deswegen interviewten wir insgesamt 37 Stakeholder aus dem Netzwerk des Zukunftslabors Energie. Dazu zählen Energieversorger, Netzbetreiber, Investoren und Betreiber von IKT, Akteure aus dem Elektro-Fachhandwerk, Kommunen, Partner aus dem Forschungsdatenmanagement, und viele mehr. Nach der Transkription der Interviews extrahierten wir mittels einer qualitativen Analyse die Anforderungen, die für die Entwicklung und den Betrieb einer effizienten, akzeptierten und erfolgreichen Forschungsplattform notwendig sind.
Zu jedem Element der Plattform identifizierten die Wissenschaftler*innen Anforderungen aus Sicht der Praxis und aus Sicht der Wissenschaft: Bezüglich des Elementes „Kompetenz“ forderten die Interviewpartner eine klare Darstellung der (Forschungs-)Interessen, Steckbriefe der Personen sowie ein Matching von Wissenschaft und Unternehmen. Eine unkomplizierte Handhabung soll die Datenpflege erleichtern und die Administration soll Seriosität sowie Informationsqualität sicherstellen. Die Anforderungen an die "Methods" sind, dass die Inhalte für die verschiedenen Stakeholder spezifisch aufbereitet werden, neutral sein und eine gewisse Qualität erfüllen sollen. Außerdem sollen die Best Practices auch Einsteiger*innen (z. B. neue Doktorand*innen, neue Mitarbeiter*innen) zugänglich gemacht werden.
Beim Element "Repository" plädierten die Interviewpartner dafür, die Daten vertraulich über harmonisierte Schnittstellen auszutauschen. Das bedeutet, dass ein einheitliches Datenformat definiert werden muss, in dem die Daten übermittelt werden. Außerdem soll sichergestellt werden, welche Stakeholder welche Daten an wen zu welchem Zweck bereitstellen. Eine Filterfunktion soll dabei helfen, konkrete Daten zu finden. Praxispartner gaben dabei zu bedenken, dass sie ihre Daten (z. B. anonymisierte Lastprofile) nicht dauerhaft jedem zur Verfügung stellen würden, sondern eher auf eine konkrete und persönliche Anfrage. Demnach sollte die Plattform eine Art Anfragefunktion besitzen. Hinsichtlich des Elementes „Simulation“ wünschten sich die Befragten Schnittstellen zu bereits bestehenden Simulationstools und eine benutzerfreundliche Oberfläche. Der Bedarf an Simulationsmöglichkeiten besteht vor allem seitens der Wissenschaft; Praxispartner nutzen eher eigene Modellierungstools. Das Element „Transparenz“ soll einen disziplinübergreifenden Austausch zu Trends und Forschungsergebnissen im Energiesektor ermöglichen. Indem z. B. Energieforscher*innen Fragen beantworten, könnte die Plattform zum Austauschort für Bürger*innen werden. Dies erfordert auch eine spezifische Aufbereitung der Inhalte in verschiedenen Formaten wie Grafiken oder Podcasts.
Basierend auf den Interviewergebnissen und der Plattformvision werden wir im nächsten Jahr die Eigenschaften und Funktionen der Forschungs- und Entwicklungsplattform konkretisieren und ein detailliertes Konzept erstellen. In einem weiteren Vergleich von bereits bestehenden Plattformen werden wir außerdem prüfen, welche technischen Lösungen dort angewendet werden: Welche Datenbank wird z. B. für die Bereitstellung von Best Practices verwendet? Welche Forumlösungen werden für den Austausch mit Bürger*innen genutzt? Darüber hinaus werden wir uns mit dem Design der Plattform beschäftigten, erste Funktionen prototypisch entwickeln und systematisch testen.