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Jetzt anmeldenFür die niedersächsische Automobil, Luft und Raumfahrtbranche ist der Druckguss von zentraler Bedeutung. Denn die Druckgussindustrie stellt gewichtsoptimierte Bauteile kosteneffizient in großer Stückzahl her, die z.B. für Fahrzeugkarosserien und Flugzeuginnenausstattungen verwendet werden. In einem komplexen Produktionsprozess werden die Bauteile mit einem investitionsintensiven Gießwerkzeug hergestellt, ggf. nachbearbeitet und auf ihre Qualität überprüft. Diese Einzelschritte verbindet das Zukunftslabor Produktion mit digitalen Technologien, um einen Herstellungsprozess zu entwickeln, der sich selbstständig optimieren kann.
Für diesen Prozess entwerfen sie eine intelligente Druckgießform, die den Gießvorgang analysiert und Empfehlungen für Optimierungsmöglichkeiten ausgibt. Für ihre Forschung entschieden sich die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors dafür, anhand eines repräsentativen Beispiels die unterschiedlichen Prozessschritte dieser Wertschöpfungskette zu durchlaufen und digital miteinander zu verbinden. Gemeinsam mit den Praxispartnern begannen die Wissenschaftler*innen damit, die entsprechende Druckgießform zu konstruieren.
Bei dem Bauteil handelt es sich um die Trägerstruktur für ausklappbare Tische in einem Passagierflugzeug. Dieses Bauteil wurde bewusst gewählt, da es charakteristische Eigenschaften aufweist und deshalb ein aussagekräftiges Forschungsobjekt darstellt. Zu den kritischen Eigenschaften zählt insbesondere die Oberflächengüte. Da das Bauteil im Passagierraum eines Flugzeugs verbaut wird, muss die Oberfläche hohen optischen Ansprüchen gerecht werden. Die Bauteile dürfen keine sichtbaren Unebenheiten aufweisen. Als weitere kritische Eigenschaft gilt die Verformung im Gießprozess. Die Trägerstruktur wird aus Aluminium hergestellt, welches sich in der Herstellung durch die hohe Temperatur leicht verformen lässt – einerseits ein Vorteil für das Gießen, andererseits ein Nachteil für unerwünschte Verformungen. Die Konstruktion dieser Gießform inklusive der benötigten Sensoren (z.B. Temperatur und Drucksensoren) ist zu 90 Prozent abgeschlossen. Die Sensoren können während der Produktion des Bauteils Abweichungen von der Norm erkennen, welche auf unzureichende Bauteilqualität hinweisen können.
Bei der Auswahl des Bauteils haben wir gezielt mit einem etablierten Gießereiunternehmen aus Niedersachsen zusammen gearbeitet, das auf einen um
fangreichen Erfahrungsschatz im Gießen gleicher bzw. sehr ähnlicher Bauteile zurückgreift. Dadurch gewährleisten wir die Vergleichbarkeit zum konventionellen Druckgießprozess. Zur verbesserten Auslegung der Gießform haben wir Daten mit diesem Unternehmen ausgetauscht und anschließend an die Randbedingungen unseres Forschungsprojektes angepasst.
Die Gießform ist der Kern der Produktionskette und für alle weiteren Schritte relevant, da sie mit den vor und nachgelagerten Produktionsschritten vernetzt ist und Daten für die Optimierung der Bauteilherstellung liefert. Sobald die Konstruktion der Gießform abgeschlossen ist, werden die Wissenschaftler*innen eine Simulation des Gießvorgangs durchführen. Dadurch können sie Wirkungszusammenhänge einzelner Prozessstellgrößen erkennen, Fehleranfälligkeiten identifizieren und mögliche Optimierungspotenziale ermitteln und umsetzen.
DIGITALER ZWILLING WEIST AUF MÖGLICHE PROZESSFEHLER HIN
Die Gießform muss zunächst mit einer Fräsmaschine produziert werden. Für diesen Prozess werden die Wissenschaftler*innen vorab einen digitalen Zwilling erstellen. Dabei handelt es sich um das virtuelle Abbild des Werkstücks und der bearbeitenden Werkzeuge. Mithilfe dieser digitalen Simulation können mögliche Prozessfehler prognostiziert und vor der Herstellung der Gießform angepasst werden. Dies ist insbesondere im Werkzeug- und Formenbau von großem Vorteil, da in der Einzelfertigung Einfahrprozesse sehr kostenintensiv sind und mögliche Fehler einen erheblichen Kostenfaktor darstellen können. Um den digitalen Zwilling abbilden zu können, analysierten die Wissenschaftler*innen zunächst, inwieweit sie die Maschinenkinematik und Steuerung der Fräsmaschine digital abbilden können. Dazu untersuchten sie die zur Verfügung stehenden Information in verschiedenen Maschinensteuerungen von Werkzeugmaschinen. Die Steuerungen beinhalten unter anderem Details zur Anzahl und Art der Maschinenachsen sowie zur Konfiguration dieser Achsen zueinander.
Um die Informationen automatisch auslesen zu können, entwickelten die Wissenschaftler*innen ein Programm, welches nach relevanten Zeichenfolgen (Beschreibung der Achsen) im Speicher der Maschinensteuerung sucht und diese interpretiert. Des Weiteren wogen sie verschiedene Verfahren künstlicher Intelligenz gegeneinander ab, um mit dem erstellten digitalen Zwilling die Bearbeitungsqualität zu prognostizieren. Hierfür verglichen sie unterschiedliche Kriterien der KI-Modelle (z. B. Vorhersagegüte, Rechenaufwand). Daraufhin führten sie Versuche durch, um mit den KI-Modellen Vorhersagen für Formabweichungen zu erstellen. Die Datensätze beinhalteten diverse, mithilfe des digitalen Zwillings simulierte Prozessgrößen wie Zeitspanvolumen und Eingriffsbreite, sowie detailliertere Informationen zur bearbeiteten Kontur, Krümmung des Schnittes und dem Werkzeugverschleiß. Zur Validierung wurde zudem eine umfassende Versuchsreihe mit anderen Rahmenbedingungen gewählt und durchgeführt. Die überprüften Prognosemodelle lieferten gute Ergebnisse, die auf einer internationalen Konferenz präsentiert wurden. Die Wissenschaftler*innen stellten fest, dass die Prognosen durch weitere Messgrößen noch präziser werden. Im nächsten Schritt werden die Wissenschaftler*innen den Umfang der maschinellen Lernmodelle um eine statistische Komponente erweitern, um die Schwankungsbreite in den Prognosen berücksichtigen zu können.
Um die Anwendung von Verfahren des maschinellen Lernens zu erforschen, haben wir bereits bestehende und neue Daten von Zerspanungsversuchen betrachtet. Dabei haben wir den Versuch virtuell durch einen digitalen Zwilling simulieren können. Hierbei konnten wir zeigen, dass sich diese KI-Modelle hervorragend für die Qualitätsprognose in der Zerspanung eignen. Außerdem haben wir ein Modell entwickelt. welches auch den Verschleiß im Rahmen der Zerspanung berücksichtigt. Damit können wir ganz im Sinne der praxisnahen Forschung, eine höhere Wirtschaftlichkeit von Fräsbearbeitungen erreichen, indem wir Werkzeuge länger einsetzen und dabei trotzdem nicht die Qualität außer Acht lassen
ANFORDERUNGEN AN EINE DATENPLATTFORM FÜR SICHEREN INFORMATIONSAUSTAUSCH
Die im Gießwerkzeug integrierte Sensorik liefert während des Gießprozesses Daten über das in der Herstellung befindliche Bauteil (Trägerstruktur für ausklappbare Flugzeugtische). Für diese Daten wird eine sichere IT-Infrastruktur benötigt, die den prozessübergreifenden Informationsaustausch ermöglicht und absichert. Da in der Praxis häufig mehrere Fertigungsstandorte für die Produktion eines Bauteils vernetzt werden, muss der Datenaustausch nicht nur sicher, sondern auch standortübergreifend möglich sein. Dies wirft Fragestellungen hinsichtlich der IT-Sicherheit und der IT-Architektur auf. Deswegen arbeiten die Wissenschaftler*innen an einer Datenplattform, die den Anforderungen verschiedener am Produktionsprozess beteiligter Stakeholder (Auftraggeber*in, Mitarbeiter*innen der Maschinenkonstruktion, des Druckgusses, des Maschinenbaus, der Nachbearbeitung, der Softwareentwicklung) gerecht wird. Um diese Anforderungen zu identifizieren, erstellten die Wissenschaftler*innen Profile (sogenannte Personae) für unterschiedliche Tätigkeitsfelder entlang der Produktionskette (z. B. Mitarbeiter*in in der Qualitätssicherung, Maschinenführer*in der Werkzeugfertigung, IT-Administrator*in der IT-Abteilung). Daraufhin fassten sie in User Stories die Bedürfnisse der Personae zusammen und leiteten daraus ab, welche Eigenschaften die zu entwerfende IT-Infrastruktur aus Sicht der jeweiligen Person aufweisen muss (z. B. „Als IT-Administrator*in in der Produktion möchte ich, dass die Verfügbarkeit der Daten im Produktionsbereich stets gewährleistet ist, um die Produktion aufrecht zu erhalten.“). Aus den identifizierten Ansprüchen der verschiedenen Stakeholder leiteten die Wissenschaftler*innen Geschäftsanforderungen, Nutzungsanforderungen, Betreiberanforderungen, Schutzziele und Anforderungen aus Sicht der IT-Sicherheit ab, die die Datenplattform erfüllen muss. Zu den Geschäftsanforderungen zählen ein sicherer Datenaustausch, die Wahrung von Dateneigentumsrechten, Ansprüche an Wertschöpfung sowie ein offenes Netzwerk für den Zugriff durch externe Partner. Die Nutzungsanforderungen an die Datenplattform können anhand der Nutzer*innen unterteilt werden.
Zunächst erwarten diese intuitiv bedienbare Systeme für den Zugriff auf die Datenplattform. Neben diesem müssen Daten in verschiedenen Formaten einfach ein- und ausgelesen werden können. Außerdem müssen Schnittstellen zur Rollen- und Rechtezuweisung für einzelne Datensätze und Datenspeicher festlegbar sein und nachvollziehbar für den/die Dateneigentümer*in gemacht werden. Zudem muss eine komfortable Möglichkeit zum Einbringen von eigenen Analysealgorithmen integriert werden. Neben den Anforderungen an die Plattform ist eine entscheidende Frage jene des Betriebsmodells. Hierbei ergeben sich aus verschiedenen Stufen der Fertigung unterschiedliche Anforderungen. Das beinhaltet Fragen des Zugriffs auf die Daten innerhalb der Plattform sowie Fragen des Personaleinsatzes und der sonstigen Kosten zum Betrieb der Plattform.
Im Zusammenhang mit den Personae und den User Stories haben wir vier Anwendungsfälle identifiziert, in denen die Datenplattform zum Einsatz kommt. Dazu zählen die Kommunikation im Produktionsbereich, die Übertragung der Daten in interne Verwaltungsabteilungen, die Speicherung der Daten in unternehmenseigenen Clouds und die Übermittlung der Daten in firmenexterne „Shared-Clouds“. Indem wir uns diese Anwendungsfälle angesehen haben, haben wir die Anforderungen noch weiter herauskristallisiert.
Schließlich formulierten die Wissenschaftler*innen Schutzziele (Vertraulichkeit, Integrität, Verfügbarkeit, Authentizität, Nichtabstreitbarkeit) und Anforderungen aus Perspektive der IT-Sicherheit (Identifizierung und Authentifizierung, Nutzungskontrolle, Systemintegrität, Vertraulichkeit der Daten, Eingeschränkter Datenfluss, Rechtzeitige Reaktion auf Ereignisse, Verfügbarkeit der Ressourcen). Auf Basis der Anforderungsanalyse konnten die Wissenschaftler*innen verschiedene Datenplattformen vergleichen und eine passende für das Zukunftslabor Produktion konzipieren. Dieses werden sie im Verlauf des Projektes unter Berücksichtigung juristischer Fragestellungen weiter ausarbeiten. Die Datenplattform soll später zur digitalen Vernetzung der unterschiedlichen Fertigungsschritte und -standorte beitragen.
MASCHINELLES LERNEN ERMÖGLICHT PRÄZISE PLANDURCHLAUFZEITEN VON AUFTRÄGEN
Ein reibungsloser Ablauf des Auftragsdurchlaufs entlang der Produktionsschritte bedarf einer zielgerichteten Planung und Steuerung. Modelle, die die Lieferkette in Unternehmen beschreiben, helfen dabei, den Produktionsprozess zu definieren und Einsatzmöglichkeiten digitaler Technologien zu identifizieren. Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Produktion entschieden sich dazu, für die Erfassung möglicher Daten zur Erfüllung der Produktionsplanungs- und -steuerungsaufgaben, das Hannoveraner Lieferkettenmodell (HaLiMo) zu verwenden. Dieses Modell bildet die unternehmensinterne Lieferkette in Zusammenhang mit logistischen Regel-, Stell- und Zielgrößen ab. Das auf dem HaLiMo aufbauende logische Datenmodell kann genutzt werden, um strukturiert unternehmensspezifische Datengrundlagen zur Erfüllung der Produktionsplanungs- und -steuerungsaufgaben zu analysieren. Die Analyse kann dazu beitragen, Potenziale für die Erhebung weiterer Datenattribute zu identifizieren sowie den Einsatz von maschinellen Lernverfahren zur Prognose einzelner Kernattribute (z.B. Plandurchlaufzeiten) zu erkennen. Aufbauend auf dem HaLiMo begannen die Wissenschaftler*innen damit, anfallende Daten eines Praxispartners zu sammeln und ein logisches Datenmodell zu erarbeiten.
Werkstücke durchlaufen häufig unterschiedliche Arbeitsstationen innerhalb einer Produktion. Wenn mehrere Aufträge gleichzeitig abgewickelt und verschiedene Werkstücke bearbeitet werden, stellt das Herausforderungen an die Produktionsplanung und -steuerung. Hierfür bieten maschinelle Lernverfahren effiziente Einsatzmöglichkeiten. Sie berücksichtigen verschiedene Parameter, die Durchlaufzeiten beeinflussen, und lernen aufgrund ihrer gesammelten Erfahrungen. Dadurch wird die Prognose, wieviel Zeit ein Auftrag bis zur Fertigstellung benötigt, immer genauer.
Des Weiteren untersuchten die Wissenschaftler*innen, welche Potenziale maschinelles Lernen für die Optimierung der Produktionsplanung und ‑steuerung (PPS) hat. Beispielsweise basieren Plandurchlaufzeiten von Aufträgen in der Praxis oftmals auf Schätzungen oder Erfahrungen der Mitarbeiter*innen. Abweichungen im aktuellen Produktionsprozess (z. B. veränderter Auftragsbestand vor den Arbeitsstationen oder Störfälle) berücksichtigen diese nicht hinreichend, wenn sie Plandurchlaufzeiten kalkulieren. Hier kann maschinelles Lernen ansetzen und auf Basis vorhandener Produktionsdaten genauere Vorhersagen für die Durchlaufzeiten der Produktionsaufträge (z. B. Auftrag zur Fertigung eines Los von Trägerstrukturen eines ausklappbaren Tisches für den Flugzeuginnenraum) erstellen.
In diesem Zusammenhang untersuchten die Wissenschaftler*innen verschiedene Modelle des maschinellen Lernens und verglichen, welche Faktoren die Prognosegüte der Modelle verbessern. Sie stellten fest, dass die Prognosen besser werden, wenn z. B. Daten über Störungsfälle, die Auftragsreihenfolge oder den aktuellen Auftragsbestand einzelner Arbeitsstationen in das Modell einfließen. Neben dem Potenzial maschineller Lernmodelle in der PPS analysierten die Wissenschaftler*innen auch deren grundsätzlichen Einsatzfelder in der Produktion. Dafür führten die Wissenschaftler*innen eine umfassende Literaturrecherche durch. Sie systematisierten Probleme bei der spanenden Herstellung der Druckgießform und stellten fest, dass maschinelles Lernen insbesondere die Leistung, Verfügbarkeit, Qualität und Reaktionsschnelligkeit/Flexibilität spanender Fertigungsprozesse verbessern kann.
Des Weiteren ermittelten die Wissenschaftler*innen drei Hemmnisse für den Einsatz maschineller Lernverfahren in der Praxis: Zuerst muss überprüft werden, ob ein bestimmtes Problem mit maschinellem Lernen gelöst werden kann. Dann ist zu klären, ob die vorhandene Dateninfrastruktur für maschinelle Lernmodelle vorliegt. Schließlich muss ein Datenanalyst ein passendes Modell auswählen, einsetzen und die Ergebnisse interpretieren. Im weiteren Verlauf des Projektes werden die Wissenschaftler*innen Interviews mit Praxispartnern führen, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit der Realität in der Wirtschaft abzugleichen.