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Jetzt anmelden18.07.2023
Eine gute medizinische Versorgung führt zu einer höheren Lebenserwartung und einer älter werdenden Gesellschaft. Dies bedingt einen höheren Bedarf an stationärer und ambulanter Pflege. Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zufolge wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen bis zum Jahr 2060 auf rund 4,53 Millionen ansteigen – bei einem zunehmend größeren Fachkräftemangel in der Pflege. Prognosen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln sagen einen Fachkräftemangel von knapp 500.000 Pfleger*innen bis zum Jahr 2035 voraus.
Diese Zahlen verdeutlichen die Relevanz der Aufgabe, neue Lösungen für die Pflege zu finden. Einen wichtigen Beitrag können digitale Technologien leisten, die Krankheiten frühzeitig erkennen. Der Schlüssel liegt im Smart Home. Unterschiedliche Sensoren können im Wohnraum von Patient*innen integriert werden, um Informationen über den Gesundheitszustand der Personen zu erfassen (z. B. wichtige Vitalparameter wie Puls, Atemfrequenz, Körpertemperatur). Wenn diese Daten langfristig erhoben und ausgewertet werden, können Veränderungen wichtige Hinweise auf mögliche Erkrankungen liefern, sodass frühzeitig reagiert und ein schwerer Krankheitsverlauf verhindert werden kann.
Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesundheit untersuchen den Einsatz von Sensortechnik im Gesundheitsmonitoring. In den vergangenen Jahren hatten die Wissenschaftler*innen bereits Sensoren zur Aufzeichnung von Vitalparametern und Bewegungsmustern ausgewählt und passende Software zur Übertragung der aufgezeichneten Daten identifiziert. Dieses Jahr knüpften sie daran an und entwickelten eine Struktur zur Verarbeitung der Sensordaten. Diese besteht aus drei Phasen: Processing, Signal Input, Rulebase. In der ersten Phase werden die Daten gefiltert. Abhängig vom Sensor erfolgt z. B. eine Rauschunterdrückung oder eine Interpolation (Bestimmung von Zwischenwerten) bei Sensorausfällen. In der zweiten Phase werden Merkmale extrahiert (z. B. Gelenkwinkel) und Mustererkennungen durchführt, um Körperhaltung und Bewegung zu erkennen. Bei der Körperhaltung werden z. B. die Gelenkwinkel analysiert, bei der Bewegung sind es die Richtung und Geschwindigkeit der bewegten Körperteile. Auf Basis des RULA-Regelwerkes (Katalog mit Gelenkhaltungen aus der Ergonomie) können in der dritten Phase Interpretationsregeln zur Bewertung angewendet werden. Wenn z. B. der Schulterwinkel über 90 Grad beträgt, ist das gesundheitsschädigend und wird mit Score 3 – dem schlechtesten Score – bewertet. Da Bewegungen aus vielen Gelenkpositionen bestehen und daher viele Regeln angewendet werden müssen, werden für die Berechnungen Methoden aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz angewendet. Im Anschluss an diese drei Signalverarbeitungsphasen sollen die Ergebnisse für die Patient*innen/Pflegefachkräfte aufbereitet werden, um konkrete Handlungsempfehlungen auszusprechen.
Testweise erfassten die Wissenschaftler*innen mithilfe von Kamerasensoren Gesicht und Mimik von 30 Proband*innen mit dem Ziel, Rückschlüsse auf den psychischen Zustand zu ziehen. Darüber hinaus testeten sie einen Wirbelsäulensensor (ein Band mit Sensoren, das in ein T-Shirt eingenäht werden kann), um die Körperhaltung in verschiedenen Positionen zu erfassen (sitzen, liegen, nach vorne und zur Seite beugen). Des Weiteren erhoben sie Daten zur Körperhaltung mittels EKG-T-Shirt. Bei diesem T-Shirt sind die Sensoren an unterschiedlichen Stellen verteilt. Je nach der Bewegung liegen die Sensoren nicht am Körper an und erfassen keine Daten. Diese Abweichung wird von den Algorithmen, die die Daten analysieren, erkannt. Bisher werden die Daten manuell von den Wissenschaftler*innen aus der Datengrundlage entfernt. Perspektivisch soll dies automatisch geschehen. Der Test des EKG-T-Shirts ergab, dass bei 77 % der Proband*innen schlafen, sitzen, gehen und rennen richtig erkannt wurde. Zukünftig sollen die Daten der unterschiedlichen Sensoren (Kameras, Wirbelsäulensensoren, EKG-T-Shirt) zusammengeführt werden, um den Gesundheitszustand noch besser analysieren zu können.
Neben den Vitalparametern und Bewegungsmustern wirken sich auch Umweltfaktoren auf die Gesundheit des Menschen aus, vor allem Luftverschmutzung durch Feinstaub, Schwefeldioxid, Ozon, Kohlenstoffmonoxid und Stickstoff sowie die Umgebungstemperatur. Deswegen erheben wir auch Daten von Umweltsensoren. Unser Ziel ist es, ein digitales Gerät in Innenräumen einzubauen, das den Bewohner*innen hilfreiche Tipps auf Basis der Umweltdaten gibt.
Herkömmliche Geräte zeigen oftmals nur ein Ampelsystem (grün, gelb, rot) der Werte, ohne Hinweise für die Auswertung. Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors planen, die Messung der Umweltdaten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gesundheitlichen Auswirkungen zu verknüpfen und die Bewohner*innen entsprechend aufzuklären. So könnte das Gerät z. B. bei zu hohen Feinstaubwerten konkret darauf hinweisen, dass der Feinstaubgehalt im Raum kardiovaskuläre Erkrankungen – das Herz und die Blutgefäße betreffende Krankheiten – erhöht und dass gelüftet werden sollte. Hier soll eine Art Risikokommunikation mit Bezug zum Gesundheitszustand und der daraus abgeleiteten Vulnerabilität der Patient*innen aufgebaut werden.
Im nächsten Jahr werden die Wissenschaftler*innen an der zielgruppenspezifischen Datenaufbereitung arbeiten. Außerdem werden sie die Sensordaten in die Datenplattform des Zukunftslabors übertragen, um einerseits die Umweltdaten und die körpernahen Sensordaten zu verarbeiten und andererseits die Plattform mit Echtdaten zu testen.