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Jetzt anmeldenDigitale Technologien wie Augmented und Virtual Reality (AR/VR) finden zunehmend Anwendung im Berufsalltag. Der Einsatz und der Umgang mit diesen verändert die Arbeitswelt und stellt Herausforderungen an Unternehmen und Mitarbeitende. Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit werden in Fallstudien erheben, wie Mitarbeitende in die Gestaltung der Technologien und der Organisationsprozesse einbezogen werden können. Da sowohl die eingesetzten Technologien als auch der Bezug zur Technik je nach Organisation und Arbeitsfeld variiert, entschieden sich die Wissenschaftler*innen dafür, unterschiedliche Branchen zu betrachten: Industrie/Produktion, Pflege und Verwaltung. Anhand von Kriterien (z. B. technologische Affinität, Bereitschaft zur Mitwirkung an einem Forschungsprojekt, Organisationsstruktur) wählten sie Organisationen aus, mit denen sie die Fallstudien durchführen werden. So ist im Sinne des Theoretical Samplings eine hohe Kontrastierung der potentiellen Fälle gegeben. Beim Theoretical Sampling handelt es sich um ein Verfahren, bei dem die zu untersuchenden Fälle abhängig von der Auswertung und Interpretation bereits generierter Forschungsergebnisse ausgewählt werden. Gemeinsam mit Praxispartnern entscheiden sich die Wissenschaftler*innen dazu, einerseits den technologischen Wandlungsprozess im Normalbetrieb zu betrachten, andererseits die Veränderungen durch die Corona-Pandemie bedingte Lock-Down-Situation und Kontaktbeschränkungen innerhalb der Organisationen zu analysieren.
Bei ihren Untersuchungen betrachten die Wissenschaftler*innen Organisationen als soziale Gefüge, die vor allem durch Kommunikation konstituiert sind. In diesem Zusammenhang geht es darum, wie sich dieses soziale und kommunikative Gefüge verändert, wenn digitale Technologien zum Einsatz kommen. Werden Technologien immer mehr zum Interaktionspartner – z. B. in der Robotik oder durch Künstliche Intelligenz (KI) – rückt die Frage nach Kommunikation, Interaktion und Medium noch weiter ins Zentrum. Hier ist entscheidend, wie sich Menschen diese Technologien aneignen, als was oder wen sie die Technologien betrachten und welche Auswirkungen das auf ihre Arbeit hat. Dabei ist es wichtig, den Bezugsraum abzustecken und zu prüfen, welche Art der sozialen Interaktion zu einer Organisation gezählt wird und welche nicht.
Neben den Vorbereitungen für die Fallstudien begannen die Wissenschaftler*innen damit, ein Reallabor aus dem Pflegebereich virtuell abzubilden. Dies dient dazu, verschiedene Arbeitsvorgänge zu simulieren und sogenannte Avatare (digitale Personen in der virtuellen Umgebung) zu steuern. Das virtuelle Abbild des Pflegelabors kann leicht an unterschiedlichen Orten mit einer geeigneten VR-Brille exploriert und zu Trainings- oder Präsentationszwecken eingesetzt werden.
Im virtuellen Reallabor wollen wir auch die Interaktion mit anderen Pflegekräften darstellen. Dafür haben wir Avatare entwickelt, die sich in der virtuellen Umgebung mithilfe von künstlicher Intelligenz entlang eines Wegpunktsystems bewegen können. Die Person, die mittels einer geeigneten VR-Brille in die virtuelle Welt eintaucht, befindet sich dann in einer Pflegeumgebung, in der sie auch mit Kolleginnen und Kollegen interagieren kann. Über zwei Controller kann sie Dinge in der Pflegeumgebung anfassen und steuern, z. B. Spritzen aufziehen oder medizinische Geräte einstellen.
ANFORDERUNGEN AN DIE ENTWICKLUNG VON ALGORITHMEN
Digitale Technologien sollen den Arbeitsalltag der Menschen erleichtern und Organisationsprozesse verbessern. Damit diese Technologien gesellschaftlich relevanten Normen und Gesetzen entsprechen, müssen diese bereits in der Entwicklungsphase mitbedacht werden. Um herauszufinden, welche Faktoren den Entwicklungsprozess digitaler Technologien beeinflussen, interviewten die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Data Scientists und Entwickler*innen von Social Media Plattformen hinsichtlich sogenannter personalisierter Services (z. B. beim Produktkauf, wo ein Algorithmus Kaufempfehlungen ausspricht). Dabei fokussierten sie sich auf drei Aspekte: das Algorithmic Management (datengetriebene Formen, Arbeitsprozesse zu organisieren wie z. B. die Planung von Schichtdiensten), Anonymität (durch die Verbindungen verschiedener Daten kann Anonymität aufgehoben werden) und Datennachbarschaften (algorithmische Empfehlungen auf Basis von Entscheidungen anderer Personen mit ähnlichem Verhalten). Die Untersuchung ergab, dass bestimmte Annahmen der Entwickler*innen in die Gestaltung der Social Media Plattformen einflossen (z. B. dass „Datennachbarn“ als Gleichgesinnte mit ähnlichen Interessen gelten). Das bedeutet, dass bei der Entwicklung von Algorithmen stets betrachtet werden sollte, wer diese entwickelt und für wen.
Algorithmen werden in unterschiedlichsten Kontexten eingesetzt, um vermeintlich objektive oder effektivere Entscheidungen zu treffen. Dabei wird allerdings häufig vergessen zu bedenken, dass Algorithmen von Menschen entwickelt und eingesetzt werden. Wie Algorithmen tatsächlich von Personen in Entscheidungen bei der Arbeit einbezogen und interpretiert werden, kann praktisch anders aussehen, als die Management Etage dies denkt oder der Anbieter seine Technologie vermarktet. Algorithmen werden von Menschen entwickelt und eingesetzt, sie sind daher auch von sozialen und kulturellen Vorstellungen geprägt. Das heißt Algorithmen sind niemals neutral
Ein weiterer Aspekt, den die Wissenschaftler*innen betrachten, ist die Datenabhängigkeit von Algorithmen. Algorithmen treffen Entscheidungen auf Basis von Daten. Deshalb ist es relevant, die Abhängigkeit präzise zu erfassen und die Robustheit der Daten zu hinterfragen. Robust bedeutet in diesem Zusammenhang, dass überprüft wird, wie kategorisierte Daten auf Veränderungen reagieren. Wenn es zum Beispiel darum geht, die Qualität von automatisiert hergestellten Produkten zu analysieren, können Bilder der Produkte von einer KI analysiert werden, die z. B. unterscheidet in „rund“ und „oval“ (Kategorien). Wenn Kleinigkeiten an diesen Kategorien verändert werden, wird aus rund schnell oval. Das bedeutet, dass die Daten nicht robust sind. Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors entwickelten ein neues Konzept, mit dem sie die Robustheit von Daten evaluieren können. Das ist wichtig bei der Entwicklung der Algorithmen. Denn nur wenn bekannt ist, wie der Algorithmus auf Veränderungen im Datensatz reagiert, werden seine Entscheidungen nachvollziehbar. Das entwickelte Konzept überprüften die Wissenschaftler*innen anhand verschiedener Datensets.
Neben der Entwicklung von Algorithmen identifizieren die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors auch Geschäftsprozesse, die durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz automatisiert werden können. Gemeinsam mit einem Praxispartner arbeiten sie an einem automatisierten Auktionssystem, das gebrauchte Waren anbietet und auf der Basis von Algorithmen Produktvorschläge für Nutzer*innen ausgibt. Der Praxispartner gab unter anderem die Anforderung vor, dass die Entscheidungen des Systems erklärbar sein müssen, damit es auch im direkten Kundenkontakt eingesetzt werden kann. Zusätzlich zu den Produktinformationen ließen die Wissenschaftler*innen auch Informationen über die Käufer*innen sowie den Auktionsverlauf in verschiedene Methoden des Maschinellen Lernens einfließen, um einen passenden Algorithmus zu entwerfen. Als Grundlage verwendeten die Wissenschaftler*innen einen Datensatz, welcher 3.200 Nutzer*innen, 270.000 Artikel und 375.000 Gebote enthielt. Mithilfe dieser Daten entwickelten sie ein Modell, das bis zu elf Prozent effektiver als derzeit existierende State-of-the-art-Systeme arbeitet.
Der Einsatz solcher Algorithmen wirkt sich unmittelbar auf die Arbeit der Mitarbeitenden aus. Um diese Auswirkungen zu ermitteln, führten die Wissenschaftler*innen eine Literaturrecherche durch. Dabei stellten sie fest, dass algorithmische Systeme nur dann zielführend eingesetzt werden können, wenn sie ein Verständnis menschlichen Verhaltens aufweisen und Verhaltenstrends prognostizieren können. Außerdem muss sichergestellt werden, dass sie Verhaltensmuster der Mitarbeitenden nicht radikal verändern. Durch die Literaturrecherche deckten die Wissenschaftler*innen aber auch Forschungslücken auf. So ist z. B. noch nicht hinreichend untersucht, wie sich Transparenz und Interpretierbarkeit von Künstlicher Intelligenz auf menschliches Verhalten auswirken. Deshalb werden die Wissenschaftler*innen in verschiedenen Studien das Verhältnis von Mensch und Künstlicher Intelligenz näher betrachten. Eine Untersuchung zielt z. B. auf das Phänomen der Algorithm Aversion ab (Abneigung gegen durch Algorithmen getroffene Entscheidungen). Die Untersuchung soll zeigen, inwiefern Menschen in Vorhersageumgebungen zwischen lernenden und nicht-lernenden Algorithmen unterscheiden. Außerdem soll untersucht werden ob, und wenn warum, lernenden oder nicht lernenden Algorithmen im Zeitverlauf eher vertraut wird.
RÄUMLICHE AUSWIRKUNGEN, RECHTSSICHERE AUSGESTALTUNG UND REGULATORISCHER RAHMEN FÜR INNOVATIVE TECHNOLOGIEN
Der Einsatz digitaler Technologien hat nicht nur Auswirkungen auf Mitarbeitende, sondern auch auf die wirtschaftliche Entwicklung ganzer Regionen. Um einen Überblick davon zu erhalten, werteten Wissenschaftler*innen qualitative und quantitative Studien aus. Das Ergebnis zeigt, dass Humankapital und digitale Kompetenzen zentral für die Generierung ökonomischer Effekte sind. Parallel zur Literaturrecherche werteten die Wissenschaftler*innen Datenbanken statistischer Ämter auf europäischer Ebene (Eurostat), auf Bundesebene (destatis) und auf Länderebene bis zur Gemeindeebene (LSN) aus. Ziel hierbei war es, einen Überblick über vorhandene Daten zu digitalen Kompetenzen oder zur Nutzung von digitalen Technologien in Unternehmen zu erhalten. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass Daten zu digitalen Kompetenzen oder zur Nutzung digitaler Technologien teilweise vorliegen, jedoch nie auf einer niedrigen regionalen Ebene für Unternehmen. Daraufhin werteten die Wissenschaftler*innen von etwa 345.000 Unternehmen aus, ob sie eine Website pflegen. Dies nahmen sie als Näherungswert für die regionale Digitalisierungsintensität. Der Auswertung zufolge wirken sich folgende Aspekte positiv auf die Digitalisierung von Unternehmen aus: Unternehmenssitz in der Stadt, hohe Bevölkerungsdichte, hohes Bildungsniveau, junge Bevölkerung, hohe Zuzugsraten. Neben der Literaturrecherche und der Auswertung von Datenbanken führten die Wissenschaftler*innen Interviews mit sieben Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren durch, um das Verständnis von digitaler Kompetenz zu erfassen. Die Interviews ergaben, dass insbesondere moderne Managementfähigkeiten und Soft Skills als wichtige digitale Kompetenzen betrachtet werden. Technische Fähigkeiten, die sich auf bestimmte Technologien beziehen, wurden weniger betont. Das deutet darauf hin, dass viele Unternehmen noch relativ am Anfang ihrer digitalen Entwicklung sind. Aufbauend auf diesen Interviews werden die Wissenschaftler*innen im nächsten Schritt Intermediäre (IHK, Wirtschaftsförderung, Innovations-/Gründerzentren) zu den digitalen Kompetenzen befragen.
Der erfolgreiche - keineswegs lineare - Transfer innovativer Wissensbestände zwischen ihren akademischen Erzeugern und Unternehmen stellt eine Grundvoraussetzung für Innovationen und regionale Entwicklung dar. Damit dieser Transfer gelingen kann, bedarf es kooperativer Strukturen, die den Austausch zwischen den Beteiligten fördert.
Damit Unternehmen digitale Technologien in ihrem Betriebsalltag sicher und entschieden einsetzen können, sind rechtliche Anforderungen an die Erklärbarkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Automatisierung von maschinellen Entscheidungen notwendig. In zwei Anwendungsfällen gehen die Wissenschaftler*innen diesen Herausforderungen nach: Zum einen untersuchen sie die zivilprozessuale Beweisführung im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz. Hierzu führten die Wissenschaftler*innen zunächst eine Literaturrecherche durch und fanden heraus, dass es bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt, welchen Einfluss der Einsatz von KI in Zivilprozessen hat. In diesem Zusammenhang wird im weiteren Verlauf die Erklärbarkeit von KI thematisiert werden, um maschinelle Entscheidungen in Gerichtsverfahren einsetzen zu können. Die Erklärbarkeit bezieht sich sowohl auf rechtliche Erklärbarkeit (Geheimnisschutz oder Sicherheitsinteressen), als auch auf technische Faktoren (z. B. Komplexität und Art der Algorithmen). Zum anderen betrachten die Wissenschaftler*innen KI-gestützte Darlehensentscheidungen aus zivilrechtlicher, datenschutzrechtlicher und aufsichtsrechtlicher Sicht. Hierbei geht es vor allem um die Frage, inwieweit Kreditinstitute ihre Modelle zur Ermittlung der Kreditwürdigkeit ihrer Kund*innen offenzulegen haben. Dazu führten die Wissenschaftler*innen ebenfalls eine Literaturrecherche durch und stellten fest, dass Forschungslücken insbesondere bezüglich des internen Scorings der Kreditinstitute bestehen. Die Literaturlage zu externen Scorings durch Auskunfteien ist deutlich umfangreicher. Anknüpfend an die Erkenntnisse aus der Literatur werden die Wissenschaftler*innen im nächsten Schritt ermitteln, ob ein angemessener rechtlicher Rahmen für das interne Scoring besteht – unter Berücksichtigung von datenschutz- und aufsichtsrechtlichen Bestimmungen.
Neben den regionalen Auswirkungen der Digitalisierung und den rechtlichen Bestimmungen zum Einsatz digitaler Technologien thematisieren die Wissenschaftler*innen auch den Wissens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, um bestehende Strukturen und Mechanismen zur Förderung der Entwicklung digitaler Innovationen in Niedersachsen verstehen und wirtschaftspolitische Implikationen für deren Weiterentwicklung ableiten zu können. Dafür schlüsseln sie regionale Akteurs- und Kooperationsstrukturen auf und ermitteln erfolgreiche Mechanismen, regionale Unterschiede und strukturelle Eigenarten niedersächsischer Innovationssysteme. Zunächst untersuchten die Wissenschaftler*innen im Rahmen einer Literaturrecherche regionale Wirkungsweisen und Funktionen von Innovationsintermediären. Zu diesen Intermediären gehören z. B. Kammern, Transferstellen von Hochschulen und kommunale Wirtschaftsförderungen. Bei der Literaturrecherche fiel auf, dass Wirkungsweisen, Modelle und Mechanismen der strategischen Zusammenarbeit zwischen Hochschulintermediären und politischen Intermediären bislang nur unzureichend erforscht sind. Wirksame regionale und überregionale Kooperationsstrukturen sind aber wichtig, um das innovative Wissen über digitale Technologien, das in Hochschulen und Forschungseinrichtungen generiert wird, für die Innovationsleistung kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) in Niedersachsen nutzbar zu machen und es in wirtschafts- und innovationspolitischen Entscheidungsstrukturen zu berücksichtigen. Aufbauend auf dieser Erkenntnis erarbeiteten die Wissenschaftler*innen Leitfadeninterviews, die sie im weiteren Projektverlauf mit Intermediären aus den Regionen Göttingen, Hannover und Osnabrück durchführen werden. Ziel des Forschungsvorhabens ist die Entwicklung eines Unterstützungsgeflechts, das die erfolgreiche Partizipation niedersächsischer KMU an Innovationsprozessen sicherstellt und einen Beitrag zur Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen für digitale Transformationsprozesse darstellt.