NEWSLETTER ABONNIEREN
Sie interessieren sich für die Projekte und Ergebnisse unserer Zukunftslabore? Unser Newsletter fasst die wichtigsten Ereignisse alle zwei Monate zusammen.
Jetzt anmelden22.04.2021
Um Energie aus regenerativen Quellen zu erzeugen und damit den Wärme- und Strombedarf der Gesellschaft zu decken, wird der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien erforderlich. Diese ermöglichen es, die schwankende und nicht steuerbare Energieerzeugung aus Sonne und Wind nutzbar zu machen und Verbraucher*innen zum gewünschten Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen. Zwischen diesen Technologien gibt es Abhängigkeiten, die die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Energie untersuchen. Im ersten Schritt identifizierten sie sechs Anwendungsfälle, in denen sensible Abhängigkeiten zwischen dem Energieversorgungssystem und dem IKT-System zu erwarten sind. Der erste Anwendungsfall „Effizienz und Optimalität“ untersucht den Einfluss verschiedener digitaler Mess- und Überwachungssysteme auf die Effizienz des Energiesystems. Dazu zählen unter anderem Batterie-Management-Systeme (BMS) und Kontrollsysteme für Blockheizkraftwerke (BHKW). Diese Systeme sind mit unterschiedlichsten Kommunikationseigenschaften ausgestattet (z. B. unterschiedliche physikalische Schnittstellen), sodass die Kommunikation dieser Systeme aufeinander abgestimmt werden muss.
Beim zweiten Anwendungsfall „Technologieakzeptanz“ untersuchen die Wissenschaftler*innen mögliche Akzeptanzfaktoren und die Nutzungsbereitschaft der Anwender*innen gegenüber verschiedenen digitalen Mess- und Überwachungssystemen. Wenn die Quartiersbewohner*innen die Technologien nicht akzeptieren, werden sie diese auch nicht nutzen, sodass die Digitalisierung des Energiesystems erfolglos wäre. Die Akzeptanz wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, wie z. B. die Nutzung privater Energiedaten durch Dritte, die Finanzierbarkeit der Technologien oder demografische Merkmale wie das Alter. Außerdem müssen Hersteller von IKT für eine Resilienz der Technologien sorgen; das heißt die technischen Systeme dürfen bei Störungen – etwa einem Cyber-Angriff – nicht versagen. In diesem Anwendungsfall erforschen die Wissenschaftler*innen, inwiefern Menschen IKT verstehen und akzeptieren und leiten daraus praktische Handlungsempfehlungen für Hersteller ab.
Mit dem dritten Anwendungsfall „Gebäudeoptimierung“ thematisieren die Wissenschaftler*innen die autonome Energieoptimierung von Gebäuden auf Basis lokaler Flexibilitäten. Um Flexibilitäten zu nutzen sind intelligente Technologien und Steuerungssysteme erforderlich, die im Falle eines Überschusses oder eines Mangels sofort und autonom reagieren – ohne dass sie manuell dazu aufgefordert werden. Viele elektrische und thermische Technologien in Haushalten lassen einen flexiblen Betrieb für eine optimale Nutzung regenerativer Energieangebote zu. Die Potenziale und Anforderungen zur Nutzung dieser Möglichkeiten sollen anhand von Simulationen analysiert und bewertet werden. Hierzu werden Modelle sowohl für Wohngebäude, als auch Nichtwohngebäude erstellt. Ziel der Forschung ist es, Bewohner*innen, Vermieter*innen, Betriebsgesellschaften sowie Energieversorgungsunternehmen Handlungsempfehlungen zuliefern, wie sie mithilfe der Digitalisierung Energie zielorientiert bereitstellen und verbrauchen können.
Flexibilität in einem elektrischen Energiesystem ist die Veränderung der Einspeisung oder Entnahme elektrischer Energie in Reaktion auf ein externes Signal – zum Beispiel einem Preis- oder Aktivierungssignal – mit dem Ziel, eine Dienstleistung im Energiesystem zu erbringen. Der Einsatz von Flexibilität ist notwendig, um auch mit steigendem Anteil volatil erzeugender erneuerbarer Energien eine sichere Stromversorgung effizient zu gewährleisten. Konkret können Flexibilitäten unter anderem netzkritische Ungleichgewichte zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch ausgleichen.
Im vierten Anwendungsfall „Verbundoptimierung“ geht es darum, Gebäude gemeinsam im Verbund zu bewirtschaften und dadurch die Koordination von Energieerzeugung und Energieverbrauch zu optimieren. Ziel ist es, den im Quartier auftretenden Eigenbedarf an elektrischer Energie möglichst vollständig durch selbst erzeugte erneuerbare Energien zu decken und somit eine hohe Energieautonomie von fossilen Energieträgern zu erreichen. Mittels der IKT-basierten Vernetzung der steuerbaren Komponenten aller Gebäude, Erzeugungsanlagen und der zugehörigen Infrastruktur im Quartier kann eine ganzheitliche thermische und elektrische Energieoptimierung im Anlagenverbund durchgeführt werden. Ein weiteres Ziel der Energieoptimierung auf Quartiersebene ist es, das Flexibilitätspotenzial zu identifizieren und in messbare Größen zu formulieren (Quantifizierung). Dies erfolgt u. a. durch die Energieoptimierung im Verbund in der die Erzeugungs- und Verbrauchsstrukturen auf Quartiersebene zusammengefasst werden (z. B. Zusammenfassung der PV-Anlagen und gemeinsame Vermarktung des erzeugten Stroms) und somit die geforderte Mindestangebotsgröße zur Teilnahme an den verschiedenen Energiemärkten erreicht wird. Dadurch kann das Flexibilitätspotential anschließend über das Wohnquartier hinaus genutzt werden.
Der fünfte Anwendungsfall „Flexibilitätsvermarktung“ beschäftigt sich mit der flexiblen Vermarktung von Energieüberschüssen an Dritte (z. B. Netzbetreiber). Innerhalb eines Quartiers sind verschiedene Flexibilitäten möglich. Energiemengen aus thermischen und elektrischen Speichern können insbesondere durch Sektorkopplung genutzt werden. Ein Beispiel hierfür ist, überschüssigen PV-Strom in Wärme umzuwandeln und damit den fossilen Energieverbrauch und den C02-Ausstoß zu reduzieren. Außerdem kann der Energieverbrauch zeitlich verschoben werden, z. B. indem ein Elektroauto zu einem späteren Zeitpunkt geladen wird. Dadurch wird es möglich, die für das Laden des Elektroautos notwendige Energie an anderer Stelle zu verwenden. Die Flexibilitäten können nicht nur innerhalb des Quartiers genutzt werden, sondern auch außerhalb. Verschiedenen Akteure eines Quartiers (Bewohner*innen, Firmen, Supermärkte, etc.) können sich zusammenschließen und ihre Energie durch einen Dritten (den sogenannten „Aggregator“) z. B. an Regelenergiemärkten vermarkten lassen. Dies erzeugt ein zusätzliches Einkommen der Akteur*innen.
Die Robustheit eines Energieversorgungssystems ist die intrinsische Kapazität des Systems und seiner Komponenten, um zugewiesene Störungsniveaus beizubehalten, wenn sich die äußeren Bedingungen ändern. Im Energiesystem können natürliche und unnatürliche Störungen auftreten, die sich auf die normalen Betriebsbedingungen auswirken können. Natürliche Störungen sind zum Beispiel beschädigte Stromleitungen durch umgefallene Bäume. Zu den unnatürlichen Störungen gehören u. a. Cyber-Angriffe oder Ausfall von IKT-Komponenten.
Im letzten Anwendungsfall „Robuster Netzbetrieb“ untersuchen die Wissenschaftler*innen die robuste und stabile Betriebsführung eines digitalisierten Energiesystems. Für digitale Energiesysteme können die Sicherheitskonzepte herkömmlicher Erzeugungsmethoden (z. B. von Blockheizkraftwerken) nicht angewendet werden. Denn IKT bringen eine Vielzahl an Innovationen mit sich, die bei der bisherigen Energieerzeugung nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dazu gehört unter anderem die starke Interaktion der Akteure durch Energiemanagementaktivitäten. Indem z. B. private Hausbesitzer*innen ihre Energie ins Netz einspeisen, entstehen zahlreiche Zugriffe auf das Energiesystem, die durch intelligente Technologien ermöglicht und abgesichert werden müssen. In diesem Zusammenhang gilt es auch, Eingriffsmöglichkeiten Unbefugter zu verhindern und Manipulationen vorzubeugen. Ein weiteres Beispiel für Innovationen, die IKT mit sich bringen, ist die veränderte Netznutzung durch neue Verbraucher*innen oder die Kopplung verschiedener Sektoren wie Elektromobilität und Wärmepumpen. Auch dadurch entstehen neue Anforderungen an Sicherheitskonzepte. Für die Quartierskonzepte erweitern die Wissenschaftler*innen deshalb bestehende Systemdienstleistungen, definieren neuartige Schutzkonzepte und beurteilen die Stabilität von verteilten Regelungskonzepten. Im weiteren Verlauf werden die Wissenschaftler*innen untersuchen, inwiefern die Anwendungsfälle von Digitalisierungstechnologien abhängig sind und welcher Anspruch sich daraus an die Qualität dieser Technologien ergibt.
Betrachtung der Anwendungsfälle auf Quartiersebene
Auf Basis der Anwendungsfälle wählten die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Energie drei Quartiere aus, die den Untersuchungsrahmen der Forschungstätigkeiten bilden. Sie ermöglichen eine umfassende Betrachtung der Wechselwirkungen von IKT in digitalisierten Energiesystemen, sind aber dennoch kleinskalig genug, um Energiesysteme komplett abbilden zu können – im Vergleich zum Energiesystem einer gesamten Stadt. Bei den ausgewählten Quartieren handelt es sich um das Wohnquartier „Am Ölper Berge“ in Braunschweig (Niedersachsen), das Wohnquartier „Energetisches Nachbarschaftsquartier“ (ENaQ) in Oldenburg (Niedersachsen) und um das Mischquartier (Wohn- und Gewerbegebäude) „Rüsdorfer Kamp“ (Quartiersentwicklung im Rahmend des Forschungsprojekts Quarree 100) in Heide (Schleswig-Holstein). Die Quartiere „Am Ölper Berge“ und „Rüsdorfer Kamp“ existieren bereits. Sie verfügen bisher über die „klassische“ Energieversorgung durch fossile Energieträger. Ziel ist es jeweils, eine nachhaltige Energieversorgung durch regenerative Energien sicherzustellen. Das „ENaQ“ befindet sich noch in der Planung und wird neu gebaut. Es soll ein klimaneutrales Quartier werden, das als Reallabor für Energieforschung dienen und neuartige Versorgungs- und Mobilitätskonzepte auf Quartiersebene beinhalten wird. Durch die Auswahl dieser drei Quartiere werden unterschiedliche Aspekte betrachtet: Art der Gebäude (Wohn- und Gewerbegebäude), Fertigstellung des Quartiers (bereits vorhanden oder in Planung), Stand der Energieversorgung (fossile Energieträger versus erneuerbare Energien).