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Jetzt anmelden04.03.2021
Mit GAIA-X soll eine moderne Dateninfrastruktur aufgebaut werden, die Daten und Dienste unter europäischen Sicherheitsstandards verfügbar macht, zusammenführt und vertrauensvoll teilt. Welchen Nutzen die europäische Dateninfrastruktur für digitale Anwendungen in der Agrarwirtschaft haben kann, diskutierten am 25.02.2021 Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft bei der Podiumsdiskussion des Zukunftslabors Agrar:
Dr. Stefan Stiene, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), koordiniert das Projekt Agri-Gaia und ist stellvertretender Leiter des Forschungsbereiches Planbasierte Robotersteuerung. Dr. Henning Müller fungiert als Prokurist und technischer Leiter des Landmaschinenhändlers Josef Kotte Landtechnik GmbH & Co. KG. Außerdem nahm Dr. Jan Hendrik Schoenke an der Podiumsdiskussion teil. Er ist Business Analyst und Requirements Engineer des Softwareentwicklers LMIS AG. Ein weiterer Teilnehmer war Andreas Heckmann, Geschäftsführer der Agvolution GmbH. Dr. Jörg Dörr zählte ebenfalls zu den Diskutanten. Er leitet das Programm Smart Farming am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE). Moderiert wurde die digitale Podiumsdiskussion vom Sprecher des Zukunftslabors Agrar, Prof. Dr. Joachim Hertzberg. Er forscht an der Universität Osnabrück am Institut für Informatik in der Arbeitsgruppe Wissensbasierte Systeme und leitet am DFKI den Forschungsbereich Planbasierte Robotersteuerung.
In einem Impulsvortrag stellte Dr. Stiene das Projekt Agri-Gaia näher vor. Das Projekt verfolgt das Ziel, ein KI-Ökosystem für die mittelstandsgeprägte Agrar- und Ernährungswirtschaft zu schaffen, wobei GAIA-X als Basisinfrastruktur dient. Mit KI-Technologien sollen die anfallenden Daten im Pflanzenbau verarbeitet, Produktionsprozesse entlang der Wertschöpfungsketten optimiert und die Produktivität als auch die Qualität nachhaltig gesteigert werden.
Zu Beginn der Podiumsdiskussion bat Moderator Prof. Hertzberg die Referenten um ein Eingangsstatement.
Prof. Hertzberg: Wie stehen Sie zu GAIA-X und Agri-Gaia?
Heckmann: Um sich auf die Klimaschwankungen und ihre Folgen besser einstellen zu können, sind Daten der Mikroklimamessung erforderlich. Ich erhoffe mir von Agri-Gaia eine einheitliche Datenstruktur für den KI-Aufbau in der Landwirtschaft. Es würde einen Mehrwert generieren, wenn durch GAIA-X einheitliche Strukturen für Daten geschaffen werden, die unnötige Arbeitsschritte ersparen.
Dr. Schoenke: Wir sind Konsortialpartner im Projekt Agri-Gaia und übernehmen dort die Softwareentwicklung und den Betrieb der Software. Durch GAIA-X kommt endlich die notwendige Interoperabilität, die gute Softwareentwicklung für KI möglich macht. Es wird eine Infrastruktur geschaffen, die wettbewerbsprägend ist. Dafür muss die Plattform attraktiv gestaltet werden.
Dr. Müller: Wir müssen mit verschiedenen klimatischen Bedingungen umgehen können und diese in KI einfließen lassen. Damit und mit dem Einsatz intelligenter Maschinen können wir die Landwirtschaft verbessern. Durch die gewonnenen Daten der Landwirtschaft können diese in der Forschung und Entwicklung als Trainingsdaten genutzt werden. Insbesondere synthetische Trainingsdaten sind von großem Interesse. Die heutigen technischen Herausforderungen kann die Landtechnik nicht mehr alleine erschließen. Dafür ist eine Zusammenarbeit von Kooperationsverbünden notwendig, was über die gemeinsame Plattform GAIA-X ermöglicht wird.
Dr. Dörr: Aktuell sind die digitalen Agrarsysteme sehr heterogen und kaum miteinander kompatibel. In GAIA-X stecken große Potenziale, dieses Problem zu lösen. Nun ist der richtige Zeitpunkt, um Anforderungen an GAIA-X zu definieren und dieses Projekt mitzugestalten. Ich finde es spannend zu sehen, wie schnell die Basis Infrastruktur – die federated services – in GAIA-X entsteht.
Dr. Stiene: Wir vom DFKI setzen uns aktiv bei GAIA-X ein und treiben Use Cases – wie Agri-Gaia – als Projekte voran. Das Thema Daten und Datenaustausch in der Landwirtschaft ist nicht neu. GAIA-X soll nicht nach dem 14. Standard den 15. Standard entwickeln, sondern vorhandene Standards miteinander verbinden.
Frage aus dem Publikum: Warum soll mit GAIA-X alles besser werden?
Dr. Dörr: GAIA-X hat Unterstützung aus der Politik, nicht nur auf deutscher Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene. Darin besteht ein großer Vorteil. Allerdings ist das natürlich kein Selbstläufer.
Dr. Müller: Hier würde ich gerne nachhaken. Die Frage ist vielleicht, wie man die PS auf die Straße bekommt? Wie kann GAIA-X im täglichen Leben heruntergebrochen und angewendet werden?
Dr. Dörr: Wir können es in Use Cases anwendbar machen. Und genau so wird es bereits in GAIA-X gemacht. Die Sachen müssen "anfassbar" gemacht werden.
Heckmann: Wichtig ist, Dinge immer bereits schon im Feld anzuwenden und auszuprobieren wie bspw. dass Landwirt*innen Gateways anbieten.
Dr. Stiene: GAIA-X arbeitet domänenübergreifend. Das ist gut, da es einige Probleme überall gibt und man sich nicht isoliert damit beschäftigt. Dafür wurde bspw. auch Hubs in den Ländern eingerichtet. Diese Hubs bündeln nationale Initiativen und vertreten die Sichtweisen der Anwender*innen.
Dr. Schoenke: Die Hubs sind Teil der Lösung und Teil des Problems. Es wird schwierig das hinzubekommen, aber wenn es machbar wird, dann ist es eine gute Lösung.
Dr. Dörr: In den Hubs zerren die Landesspezifika an GAIA-X. Das macht es schwierig und wird ein Spagat. Es kann aber auch dafür sorgen, die Silos zwischen Ländern und Branchen aufzubrechen. Hier muss der kleinste gemeinsame Nenner gefunden werden und das wäre dann ein Mehrwert für alle.
Heckmann: Es ist wichtig, dass sich die staatlichen Institutionen an Standards halten bzw. einen europäischen Standard einführen. Das würde es viel einfacher machen.
Dr. Müller: Die Idee mit dem Standard ist gut und wichtig. Es sieht aber tatsächlich schwierig aus, da es zuvor auch nicht geklappt hat. Wichtig in der Landwirtschaft ist, dass GAIA-X besonders von den Landwirt*innen verstanden wird und nicht in der Versenkung verschwindet.
Prof. Hertzberg: Was ist der neue Drive, den GAIA-X bringt, den es vorher nicht gegeben hat?
Dr. Schoenke: Das Potenzial von GAIA-X liegt in den geplanten Hubs, den beteiligten Domänen und den anschaulichen Use Cases.
Dr. Müller: Ich würde gerne Herrn Dr. Stiene direkt eine Frage stellen: Ist es vielleicht die Stimmung, die GAIA-X vorantreibt? Nach dem Motto: "Jetzt aber los, sonst bin ich völlig abgehängt"?
Dr. Stiene: Die drei großen Cloud-Anbieter Google, Microsoft und Amazon waren der Auslöser für GAIA-X. Sie weckten mehr und mehr den Wunsch nach einer europäischen Dateninfrastruktur, um die Daten nicht alle auf amerikanischen Servern zu sammeln. Wichtig bei dem Grundgedanken zu GAIA-X war zum einen die Interoperabilität und zum anderen die Freiheit für die Anwender*innen, frei wählen zu können. Bei GAIA-X geht es nicht nur um die technische Seite. Viel Arbeit fließt auch in Compliance, Etablierung von Standards, Compliance-Framework usw. Wichtig ist außerdem, dass dieses Compliance-Framework auch für die Hyperscaler Google, Microsoft und Amazon anzuwenden ist, sodass diese sich auch daran halten müssen.
Frage aus dem Publikum: Bisher sind die Standards für GAIA-X noch nicht abschließend festgelegt z. B. für IT-Sicherheit, Datenschutz, Energieeffizienz. Wie sehen Sie das? Sollen bestehende Standards übernommen werden?
Dr. Dörr: Zurzeit werden vorhandene Standards abgefragt und gesammelt. Daraus soll dann abgeleitet werden, was künftig Standard wird.
Dr. Schoenke: Ja, unbedingt. GAIA-X soll keine neuen Standards schaffen, sondern schauen, welche es gibt und welche sich weiter etablieren sollen.
Frage aus dem Publikum: Herr Heckmann sprach von Nebeneinkünften der Landwirt*innen als Anbieter von Gateways. Ist es realistisch, für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur einen Ertrag erzielen zu können?
Heckmann: Ja, das ist realistisch. Aber der Ertrag würde für den Unterhalt einer vierköpfigen Familie nicht ausreichen.
Frage aus dem Publikum: Im Bereich von KI gibt es noch viele ungelöste Fragen, die in der Gesellschaft strittig diskutiert werden. Vor allem ethische Aspekte. Soll eine KI verbindliche Vorschläge für die Landwirt*innen machen, z. B. um im Sinne einer Artenvielfalt eine Anbauweise vorzuschreiben oder Regularien einzuhalten? Wie gehen Sie die Lösung dazu in Agri-Gaia an?
Dr. Stefan Stiene: In Agri-Gaia legen wir das Framework dafür, KI in der Landwirtschaft anwenden zu können. Wichtige Aspekte, die wir in diesem Zusammenhang untersuchen, sind Datenhoheit, Ethik, usw.
Dr. Müller: KI als Unterstützung finde ich gut. Aber ich muss auch zugeben, dass mir der Gedanke nicht gefällt, mir als Landwirt etwas von einer KI vorgeben zu lassen.
Frage aus dem Publikum: Stehen die Daten, die Sie sammeln wollen, und die Infrastruktur dann allen Stakeholdern zur Verfügung, sodass diese die Algorithmen aus verschiedenen Perspektiven trainieren können? Oder ist der Kreis der Datennutzer*innen begrenzt?
Dr. Stiene: Alle Daten allen Anwender*innen zur Verfügung zu stellen ist fern der Realität. Die gesammelten Daten sind Produkte. Es wird also Business-to-Business-Kooperationen geben, in denen diese Daten vertraulich genutzt werden können. Agri-Gaia soll aber auch Daten aus öffentlicher Hand und andere öffentliche Daten wie Wetterdaten, Forschungsdaten, Satellitendaten, usw. aufnehmen und den KI-Entwickler*innen kostenfrei zur Verfügung stellen.
Prof. Hertzberg: Welche Aussagen haben Sie von Ihren Gesprächspartnern mitgenommen? Was davon hat Ihnen gefallen?
Dr. Müller: Die Bedeutung von kleineren, greifbaren Use Cases ist mir nochmal sehr deutlich geworden. Diese können Landwirt*innen einen großen Nutzen bringen.
Dr. Dörr: Ich habe eine große Einigkeit darin gesehen, dass es das Ziel sein muss, eine Interoperabilität herzustellen.
Heckmann: Die Komplexität und Vielfalt der Interessengruppen ist sehr groß. Daher sind Länder-Hubs auch sinnvoll, um spezielle Dinge einbringen zu können und diese dann föderal auf europäischer Ebene anzusprechen.
Dr. Stiene: Es ist wie ein Eisberg: Um Interoperabilität haben zu können, ist die Technik nur ein kleiner, sichtbarer Bereich. Es hängen noch sehr viel mehr Themen davon ab und auch die Realisierung davon.
Dr. Schoenke: Daten sind wie Kartoffeln auf dem Feld, die noch im Acker sind. Würde Ihnen jemand diese Kartoffeln altruistisch zur Verfügung stellen? Man kann vorher nicht wissen, was daraus wird. Ähnlich ist es mit Daten. Werden sie zu einem KI-Modul oder etwas anderem, dass dann einen Nutzen stiftet?
Prof. Hertzberg bedankte sich bei den Diskutanten und den zahlreichen Fragen aus dem Publikum. Er beendete die Podiumsdiskussion mit einem abschließenden Statement:
Ich habe die Hoffnung, dass es neben den Fördermitteln für die Forschung (Push) auch einen Pull von den staatlichen Einrichtungen gibt. Diese können Daten sinnvoll über das GAIA-X-Format anfordern und auch geliefert bekommen. Das wäre ein großer Pull für die Branche. Die Abteilung staatliche Einrichtungen in GAIA-X kann dafür einen guten Beitrag liefern, um bspw. die Dokumentation einfach zu machen auf Knopfdruck.
Die nächste Podiumsdiskussion des Zukunftslabors Agrar wird am 17.03.2021 von 16 bis 17:30 Uhr stattfinden. Thema: „Durch digitale Datenflüsse Tierwohl sichern und verbessern – Chancen und Risiken in der Wertschöpfungskette Masthuhn.“ Die Veranstaltung ist offen für alle, die sich für Themen rund um die Landwirtschaft 4.0 interessieren. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Teilnehmer*innen können sich kostenlos über diesen Link einloggen.
Ansprechpartnerin für redaktionelle Rückfragen:
Kira Konrad B. A.
Marketing & Kommunikation
Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen (ZDIN)
Am OFFIS – Institut für Informatik, Escherweg 2, 26121 Oldenburg – Germany
Tel: 0441 9722-435
E-Mail: kira.konrad@zdin.de
www.zdin.de