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Jetzt anmeldenDie Digitalisierung der Energiewirtschaft ist ein sehr gutes Beispiel für die Notwendigkeit dieses Zusammenspiels, wie ein Blick auf die unterschiedlichen Rollen zeigt: Die Wissenschaft sorgt mit der Forschung und Entwicklung für die grundlegenden technologischen Rahmenbedingungen, die Wirtschaft nutzt sie für die Entwicklung von marktfähigen Produkten, die Politik sorgt für den gesetzlichen Rahmen für den Einsatz dieser Produkte und die Gesellschaft ist der Treiber der Entwicklung, indem sie die Produkte annimmt und nutzt. In dieser stark vereinfachten Betrachtung liest sich die Transformation wie ein evolutionärer Prozess, doch in Wirklichkeit sind die notwendigen technischen Veränderungen eher eine Revolution.
Herausforderungen auf drei Ebenen
Die Komplexität der Digitalisierung der Energieversorgung wird deutlich, wenn man sich die verschiedenen Ebenen genauer ansieht. Die Entwicklung auf der Erzeugerseite ist dabei noch am sichtbarsten, denn sie bestimmt seit Jahren den öffentlichen Diskurs. Spätestens mit der Nuklearkatastrophe von Fukushima setzte eine intensive Debatte über die weitere Nutzung von Kernenergie ein. Nur wenige Monate später im Juni 2011 wurde der Atomausstieg bis 2022 politisch beschlossen. Im Zuge der international geführten Klimaschutzdebatte wurde Anfang 2019 zudem der Kohleausstieg bis spätestens 2038 beschlossen. Zusammen produzierten Atom- und Kohlekraftwerke 2018 knapp die Hälfte des Bruttostroms in Deutschland. Eine Kompensation ist vor allem über Erneuerbare Energien geplant, deren Anteil am Stromverbrauch bis 2050 auf 80 Prozent ansteigen soll.
Die politisch beschlossene Energiewende wirkt sich aber nicht nur auf die Sicherheit und die Umwelt aus, sondern hat auch erhebliche Auswirkungen auf das gesamte System der Energiewirtschaft: Zentrale Großkraftwerke werden sukzessive abgeschaltet und durch viele dezentrale Erzeuger ersetzt. Damit ändert sich auch die Lastrichtung: Sorgte bislang der sogenannte Lastfolgebetrieb dafür, dass die Kraftwerke dem Bedarf folgend Strom produzieren, so wird zukünftig die aktuell verfügbare Strommenge zum Regelfaktor. Die Energieerzeugung aus Sonne und Wind richtet sich nicht danach, wann die Verbraucher am dringendsten Strom benötigen, sondern sie sind abhängig vom Wetter. Aus einer Nachfrage-Angebot-Kalkulation wird eine Angebot-Nachfrage-Kalkulation. Erneuerbare Energie ist also nicht nach Bedarf regulierbar, sondern erfordert eine umgekehrte Planung. Diese Lastumkehr sorgt dafür, dass wir künftig vor allem Aufgaben mit hohem Energiebedarf flexibler planen müssen. Dazu zählen zum Beispiel industrielle Lastspitzen oder auch der heimische Ladevorgang des E-Autos. Die für das System nötige Flexibilität wird somit von der Erzeuger- auf die Verbraucherseite verschoben.
Die Lastumkehr macht zudem eine Digitalisierung der Stromnetze unabdingbar. Nur wenn wir die Erzeugung und den Verbrauch jederzeit messen, steuern und planen können, ist eine Sicherstellung der Energieversorgung mit einem hohen Anteil dezentraler Erzeuger von Erneuerbaren Energien gewährleistet. Dafür ist ein intelligentes Stromnetz nötig, das auch Smart Grid genannt wird. Ein solches Stromnetz integriert sämtliche Akteure auf dem Energiemarkt und reguliert das Zusammenspiel von Erzeugern, Verbrauchern und Netzmanagement. Die Schwierigkeit besteht darin, stets nur so viel Strom zu produzieren wie aktuell verbraucht wird, denn Stromnetze können selbst keinen Strom speichern. Das lässt sich mit Großkraftwerken, die ihre Kapazitäten nach Bedarf erhöhen oder verringern können, relativ verlässlich planen. Bei vielen kleinen Erzeugungsanlagen, deren Produktion zudem noch von äußeren, nicht verlässlich planbaren Faktoren abhängt, werden die Kalkulationen deutlich komplexer.
Dem Smart Grid kommt hier eine besondere Aufgabe zu. Es sorgt für die Vernetzung von Stromerzeugern, Speicherlösungen, Verbrauchern und Netzeinrichtungen, die somit untereinander kommunizieren und Daten austauschen können. Das ermöglicht einerseits die Steuerung und Optimierung der Erzeuger nach dem Bedarf der Verbraucher, soweit es die Erzeugereinheiten zulassen. Anderseits kann auch der Bedarf reguliert werden, indem dazu geeignete und bereite Letztverbraucher je nach Angebot-Nachfragelage hoch- oder runtergeregelt werden.
Speicherlösungen wie Batterien werden künftig wichtiger werden, weil sie die Flexibilität erhöhen. Zum einen können die Akkumulatoren in E-Autos bevorzugt dann geladen werden, wenn besonders viel Strom zur Verfügung steht. Zum anderen können ausgediente Akkus eine zweite Karriere starten, indem sie als passiver Energiespeicher dienen. Hier besteht allerdings noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf für effektive Speichertechnologien.
Die Digitalisierung der Energieversorgung bedingt die Evolution aller wichtigen Akteure und Prozesse des Versorgungs- und Verteilungsnetzes: Vom energieeffizienten Quartierskonzept, über das Smart Grid bis hin zum diversifizierten Strommarkt. Im Zuge der dezentral gestalteten Energieerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern ist es notwendig flexibel zu reagieren und dabei große Mengen an Daten in Echtzeit auswerten zu können. Über Smart Grids können einzelne Bestandteile des Energieversorgungssystems miteinander vernetzt werden und untereinander kommunizieren. Das ermöglicht nicht nur eine Überwachung und Sicherstellung der Energieversorgung, sondern auch eine intelligente Steuerung und Optimierung von Erzeugung, Speicherung, Verteilung und Nutzung von Energie.
Was noch zu tun ist
Die Digitalisierung ist also ein hochkomplexer Prozess. Hakt es an einer Stelle, gerät der gesamte Transformationsprozess ins Stocken. Neben den allgemeinen Herausforderungen kommen auf jede Branche weitere spezifische Aufgaben zu, die gelöst werden müssen. Das gilt besonders für die Digitalisierung der Energiewirtschaft, denn sie ist zugleich der Motor für alles Digitale: Ohne Strom funktioniert unsere Gesellschaft schon heute nicht mehr und in der digitalen Zukunft wird eine verlässliche Energiewirtschaft noch wichtiger. Die zunehmende Digitalisierung aller Branchen sorgt zudem selbst für einen erhöhten Energiebedarf: Vormals analoge Prozesse werden nun intelligent von Maschinen erledigt und benötigen dafür Strom.
Das Energiesystem der Zukunft muss aber nicht nur sehr zuverlässig und technisch gegen Ausfälle abgesichert sein, es muss auch mit Angriffen von außen umgehen lernen. Die zentrale Ausgangsbasis ist dabei eine Erkenntnis, die für sicherheitskritische System zunächst undenkbar scheint: Die notwendige Vernetzung aller wichtigen Komponenten der beschriebenen drei Ebenen (Erzeuger, Verbraucher, Smart Grids) macht eine einhundertprozentige Sicherheit unmöglich. Wir müssen uns also darauf einstellen, dass die hohe Zahl an verschiedenen Komponenten zwangsläufig für Cyberattacken genutzt wird und dass diese auch erfolgreich sein können. Um mit solchen unsicheren Systemen zu arbeiten, ist ein komplett neuer Sicherheitsansatz notwendig. Bisherige Systeme wie zum Beispiel eine Firewall funktionieren nach dem Türsteher-Modell: Angriffe werden abgewehrt, bevor sie eindringen können. Für ein System, das nicht komplett abgesichert werden kann, wäre dieses Modell fatal. Denn wer einmal den Türsteher überwunden hat, könnte sich anschließend nahezu frei im System bewegen. Stattdessen braucht das intelligente Stromnetz eine Art interne Security, die ins System gelangte Angreifer früh identifiziert und isoliert, bevor sie sich ausbreiten und Schäden verursachen können. Diese Cyber-Resilienz ist durchaus mit dem menschlichen Immunsystem vergleichbar. Auch hier geht es um eine Widerstandsfähigkeit gegen unvermeidliche Krankheitserreger.
An diesen Aufgaben und Herausforderungen forscht und entwickelt das Zukunftslabor „Digitalisierung Energie“. Dazu gehört nicht zuletzt auch eine Kollaborationsplattform, die die Forschung, die Entwicklung und den Wissenstransfer innerhalb der Energiewirtschaft unterstützt. Sie soll eine zentrale Anlaufstelle für alle Fragen rund um die Zukunft der Energie werden und dabei helfen, Informationen, Dienstleistungen und Forschungsergebnisse schneller verfügbar zu machen.
ÜBER DAS ZUKUNFTSLABOR ENERGIE:
Zukunftslabor-Sprecher: Prof. Dr. Sebastian Lehnhoff, Universität Oldenburg & Vorstand des OFFIS
Beteiligte wissenschaftliche Einrichtungen:
• DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme Oldenburg
• Hochschule Emden-Leer - Fachbereich Technik
• Leibniz Universität Hannover - Fachbereich Energieinformatik
• Leibniz Universität Hannover - Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI)
• OFFIS Institut - Bereich Energie
• Ostfalia Hochschule - Institut für Energieoptimierte Systeme (EOS)
• TU Braunschweig - Institut für Hochspannungstechnik und Elektrische Energieanlagen – elenia
Zum Start beteiligte Praxispartner: 11