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Jetzt anmelden03.08.2023
Der Wohnort beeinflusst einen Menschen in den Gestaltungsmöglichkeiten seines Lebens. So gibt es in städtischen und ländlichen Regionen unterschiedliche Bildungsmöglichkeiten, Arbeitsplätze und Freizeitangebote. Die Digitalisierung verändert die Lebensverhältnisse in allen Regionen. Ob sich dadurch die Unterschiede zwischen Stadt und Land vergrößern oder verkleinern, untersuchen die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit.
Die Wissenschaftler*innen analysierten dieses Jahr, ob die Homeoffice-Erfahrungen während der Pandemie sowie die Teleworkability von Branchen und Berufen mittel- bis langfristig den bisherigen Trend umkehren können, dass Fachkräfte von ländlichen in urbane Regionen ziehen. Die empirische Grundlage für die Analyse waren Daten zur Erwerbsbiografie deutscher Arbeitskräfte vor und während der Pandemie. Zudem erstellten sie eine Matrix aus Arbeits- und Wohnortwechsel zwischen Stadt und Land vor und während der Pandemie. Daraus entstanden 16 Migrationstypen, die die Wanderungsrichtung zwischen deutschen Städten und Landkreisen beschreiben. Die zentrale Frage war, ob die digitale Infrastruktur in Kombination mit digitalen Kompetenzen der Arbeitnehmer*innen und die Möglichkeiten des Homeoffice die wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen städtischen und ländlichen Regionen verringert.
Die Untersuchung ergab, dass Arbeitnehmer*innen mehr Wahlmöglichkeiten bei der Entscheidung über Wohn- und Arbeitsort haben. Die Möglichkeit der Telearbeit wird die Vorteile des Wohnens im Pendlereinzugsbereich oder sogar im stadtfernen ländlichen Raum erhöhen. Gut ausgebildete junge Menschen, die lieber im urbanen Verdichtungsraum wohnen, werden eher für ein Unternehmen im Umland arbeiten, wenn sie nicht täglich pendeln müssen.
Des Weiteren betrachteten die Wissenschaftler*innen den Einfluss der digitalen Infrastruktur auf die Gründung neuer Unternehmen mit digitalem Bezug (sog. digital entrepreneurship). Für diese Untersuchung analysierten die Wissenschaftler*innen Daten zur Verfügbarkeit von Breitband, zu Fachkräften, dem Grad der Ländlichkeit u. v. m. Den Ergebnissen zufolge nimmt die Zahl der digitalen Neugründungen im Laufe der Zeit für alle siedlungsstrukturellen Kreistypen zu, während sie bei nicht digitalen Gründungen für alle Typen abnahm (deutlich am stärksten in ländlichen Regionen). Diese Zunahme ist in städtischen Kreisen absolut und relativ am größten. Zudem hat der Zugang zu Breitbandanschlüssen einen positiven Einfluss auf digitale Unternehmensgründungen, noch stärker ist aber der Einfluss des formalen Bildungsstandes (operationalisiert als Hochschulabschluss). Auch dieser Effekt ist in Städten stärker als in ländlichen Regionen. Dies bedeutet eine Vergrößerung der wirtschaftlichen Disparitäten zwischen Stadt und Land.
Darüber hinaus führten die Wissenschaftler*innen 70 qualitative Interviews mit kleinen und mittleren Unternehmen in Niedersachsen und befragten sie zu ihrem Stand der Digitalisierung. Diese Interviews werden die Wissenschaftler*innen 2023 auswerten. In Verbindung mit der vorherigen Befragung von Intermediären soll ein umfangreicher Überblick zur regionalen Ausprägung der digitalen Kompetenzen in Unternehmen entstehen.
Im kommenden Jahr werden die Wissenschaftler*innen ermitteln, wie sich der Zugang zu Breitband in ländlichen Regionen auf die Gründung digitaler Unternehmen auswirkt. Hierzu werden sie einen Matching-Ansatz verwenden: Sie werden Regionen mit ähnlichen ökonomischen Merkmalen (z. B. Berufsgruppen, Anteil digitaler Unternehmensgründungen) betrachten und vergleichen, wie sich unterschiedliche regionale Breitbandzugänge auf die ökonomische Entwicklung von Regionen auswirkt. Außerdem werden sie den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Beschäftigtenmobilität (Pendeln versus Standortwechsel) analysieren.
Die Rolle regionaler Intermediäre im Wissenstransfer
Innerhalb der Regionen trägt der Wissenstransfer zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmen aus der Praxis zur Fortschreitung der Digitalisierung bei. In diesem Zusammenhang untersuchen die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit die Rolle von Intermediären – vermittelnde Instanzen, die Wissen aggregieren und an Interessent*innen vermitteln.
Anhand eines Fallbeispiels reflektierten die Wissenschaftler*innen den Aufbau und den Entwicklungsprozess einer sogenannten Science-Industry-Partnership (SIP). Dabei handelt es sich um langfristig angelegte und strategische ausgerichtete Partnerschaften zwischen anwendungsorientierter Hochschulforschung und Unternehmen aus der Wirtschaft. Solche Partnerschaften sollen den Innovations- und Wissenstransfers zwischen Forschung und Praxis innerhalb einer Region stärken. Die Wissenschaftler*innen analysierten die Strukturen in Hinblick auf bekannte Erfolgskriterien und Hemmnisse des Innovationstransfers.
Wir kamen zu dem Ergebnis, dass die Einbettung in das regionale Innovations-Ökosystem förderlich für solche Partnerschaften ist und dass leistungsstarke SIPs das Innovations-Ökosystem wiederum beflügeln. Darüber hinaus stellten wir fest, dass sich Transferpartnerschaften am regionalen Bedarf orientieren müssen, um erfolgreich zu sein.
Außerdem untersuchten sie, inwiefern Wissensvermittler*innen zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung beitragen und welche Rollen sich daraus für sie ergeben. Hierfür analysierten die Wissenschaftler*innen die Ergebnisse aus Interviews mit 62 Intermediären und Stakeholdern aus vier deutschen regionalen Wissensvermittlungsinitiativen. Die Auswertung ergab, dass Intermediäre durch die von ihnen ausgeführten Aufgaben zur Digitalisierung und Nachhaltigkeit beitragen. Sie nutzen Veranstaltungen, um Informationen zu verbreiten und das Bewusstsein für die angestrebten Ziele zu schärfen. Durch den Aufbau von Netzwerken können die für Innovationsprozesse notwendigen Informationen und Kenntnisse zirkulieren. Außerdem unterstützen sie die Umsetzung regionaler Innovationsprozesse, indem sie helfen, Probleme zu identifizieren oder technische Lösungen zu fördern.
Des Weiteren untersuchten die Wissenschaftler*innen, wie sich die Zusammenarbeit mit anderen Intermediären auf die alltägliche Arbeit und die Aktivitäten von Organisationen und Einzelpersonen auswirkt, die akademisches Unternehmertum und Technologietransfer unterstützen. Es wurden Allianzen in drei Regionen betrachtet, die von der niedersächsischen Landesregierung für fünf Jahre (2019 – 2024) aus derselben Förderrichtlinie finanziert werden. Jede Allianz besteht aus mehreren Akteuren und wird von einer Universität koordiniert. Das Ergebnis zeigt, dass Wissensintermediäre vom Zugang zu zusätzlichen ökosystemspezifischen Ressourcen profitieren können. Allerdings hemmt der Drang, die eigene Position innerhalb des Ökosystems zu verbessern, die Kooperationsbereitschaft. Dies kann zu nicht leistungsfähigen Ressourcenanpassungen führen.
Im kommenden Jahr werden die Wissenschaftler*innen ihren Fokus auf kleine und mittlere Unternehmen richten. Sie wollen untersuchen, wie die Strukturen innerhalb der Unternehmen angepasst werden können, um selbstständig mit wissenschaftlichen Einrichtungen zusammenzuarbeiten und wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Arbeit einfließen zu lassen.
Auswirkungen der DSGVO auf die KI-basierte Kreditvergabe
Bei der Einführung und Anwendung digitaler Innovationen sind rechtliche Bestimmungen zu berücksichtigen. Dies betrifft berufliche Aspekte genauso wie private. Ein Anwendungsbeispiel für Künstliche Intelligenz im privaten Umfeld ist das Kreditscoring, bei dem die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eine Rolle spielt.
Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit untersuchten die Auswirkungen des Artikel 22 der DSGVO in Bezug auf die Score-basierte Kreditvergabe bei Kreditinstituten. Der Originaltext der Norm lautet: „Die betroffene Person hat das Recht, nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung – einschließlich Profiling – beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden, die ihr gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt“ DSGVO (Art. 22, Abs. 1). Die Norm sieht weiterhin besondere Pflichten für automatisierte Einzelentscheidungen vor, die die Rechte und Freiheiten betroffener Personen sichern sollen.
Bei Banken gibt es zwei Scores, die zur Entscheidung über die Kreditvergabe hinzugezogen werden: Beim internen Score werden bestimmte Daten der Kund*innen hinsichtlich des Kreditausfallrisikos statistisch untersucht. Dafür vergleicht das Kreditinstitut die Daten mit den Eigenschaften bisheriger Darlehensnehmer*innen und deren Rückzahlungsverhalten. Der externe Score wird von einer Auskunftei erstellt, welche die Bonität der Kund*innen auf Basis der ihr vorliegenden Daten beurteilt. Wenn die Entscheidung über die Kreditvergabe auf einer rein automatisierten Basis getroffen wird, dann kann Artikel 22 greifen.
Unsere Auswertung hat ergeben, dass der Artikel 22 der DSGVO nur begrenzt auf die Kreditentscheidung Anwendung findet, da die Überprüfung der Kreditwürdigkeit nicht ausschließlich automatisiert abläuft. Rechtsschutzlücken entstehen dort, wo die Kreditentscheidung und die zugrunde liegende Datenverarbeitung durch verschiedene Akteure vorgenommen werden (z. B. Kreditinstitut und Auskunftei).
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden schlägt vor, den Artikel 22 der DSGVO auch beim externen Scoring durch eine Auskunftei anzuwenden. Dieser Vorschlag ist aus Sicht der Wissenschaftler*innen jedoch nicht vollständig überzeugend, da die Auskunftei keine Entscheidung trifft, sondern nur das Scoring erstellt. Alternativ könnten Kreditinstitut und Auskunftei als gemeinsame Verantwortliche betrachtet werden. Demnach müssten sich Bank und Auskunftei darüber abstimmen, wer Auskunft über die Erstellung des Scorings und die Entscheidungsfindung erteilt. Durch eine Reform der Verbraucherkreditlinie ist zu erwarten, dass sich einige Probleme, die sich bei der Anwendung des Artikel 22 DSGVO für das Verbraucherkreditgeschäft ergeben, lösen werden. Die Auswertung der Wissenschaftler*innen fand in Fachkreisen bereits Anklang: Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes zitierte die Wissenschaftler*innen in seinen Schlussanträgen in dem vom Verwaltungsgericht angestoßenen Vorabentscheidungsverfahren. Dies zeigt, dass die Arbeiten im Zukunftslabor nicht nur theoretische Erwägungen darstellen, sondern dass sie auch in der aktuellen Rechtsprechung berücksichtigt werden.