NEWSLETTER ABONNIEREN
Sie interessieren sich für die Projekte und Ergebnisse unserer Zukunftslabore? Unser Newsletter fasst die wichtigsten Ereignisse alle zwei Monate zusammen.
Jetzt anmelden15.06.2023
Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde die Abhängigkeit von Strom- und Gaslieferungen in hohem Maße kritisch. Die sich zuspitzende Krise verdeutlichte den Wert einer von Rohstoffimporten unabhängigen Energieversorgung. Erneuerbare Energien sind der Schlüssel dazu. Um die komplexen Systeme intelligent zu steuern und die Energiebedarfe zu decken, sind digitale Technologien erforderlich.
Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Energie untersuchen in fünf Durchstichszenarien verschiedene Aspekte digitaler Energietechnologien. Durchstichszenarien dienen dazu, mehrere technische Komponenten des Energiesystems miteinander zu koppeln. In den Szenarien analysieren die Wissenschaftler*innen folgende Schwerpunkte und Problemstellungen: Flexibilitäten in Energiesystemen (zum Ausgleich netzkritischer Ungleichgewichte zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch), Störungen von Informations- und Kommunikationstechnologien, Elektromobilität in Quartieren, Energieversorgung von Gebäuden, Netzbetrieb digitalisierter Energiesysteme. Dieses Jahr konzentrierten sich die Wissenschaftler*innen auf die Szenarien Elektromobilität und Netzbetrieb.
Durchstichszenario „Elektromobilität“
Für das Szenario Elektromobilität untersuchten sie anhand des Quartiers „Am Ölper Berge“ (Braunschweig) die Netzaufnahmefähigkeit für Elektrofahrzeuge unter Berücksichtigung der DIN EN 50160. Diese Europäische Norm legt Anforderungen für die Spannungsqualität in öffentlichen Verteilnetzen fest. Die Wissenschaftler*innen analysierten demnach, wie viele Elektrofahrzeuge zeitgleich im Quartier geladen werden können, ohne dass die geltende Norm verletzt wird.
Bei unserer Forschung folgen wir dem Open-Science-Ansatz. Dabei geht es darum, Forschungsmethoden und -ergebnisse transparent und öffentlich zugänglich zu machen. Indem wir unsere entwickelten Modelle und genutzten Daten mit anderen Wissenschaftler*innen teilen, können diese unsere Untersuchungen leichter nachvollziehen und eigene Modelle entwickeln oder an unsere Forschung anknüpfen. Im Zukunftslabor Energie haben wir hierzu eine Open Science Declaration formuliert, an der wir unsere Forschung ausrichten.
Um die Netzaufnahmefähigkeit des Quartiers „Am Ölper Berge“ zu untersuchen, entwickelten die Wissenschaftler*innen mithilfe des mosaik-Frameworks eine Open-Source Co-Simulation. Diese dient dazu, die erforderlichen Komponenten des Energienetzes (Energiesystemmodelle, Steuerungsmodelle, Netzberechnung, Datenspeicherung etc.) nachzubilden und miteinander zu verbinden.
Sie testeten mehrere Szenarien in der Co-Simulation. Zunächst simulierten sie die aktuelle Netzaufnahmefähigkeit des Quartiers. Daraufhin führten die Wissenschaftler*innen Verbesserungsmaßnahmen durch, um die Netzaufnahmefähigkeit für das Laden von Elektrofahrzeugen zu erhöhen. In mehreren Szenarien wurden die Wirksamkeit von nutzerseitigen Maßnahmen zur kooperativen Energieerzeugung und -speicherung (z. B. Photovoltaik-Anlagen und Batteriespeicher) sowie intelligente Steuerungsstrategien (Nutzung der Flexibilität der Batteriespeicher zur Deckung des Ladeenergiebedarfs der Elektrofahrzeuge) analysiert.
Zu den intelligenten Ladestrategien zählen wir das prognosebasierte Laden, das Solarladen und das Nachtladen. Beim prognosebasierten Laden wird vorhergesagt, wie lange das Elektrofahrzeug unbenutzt an der Ladestation verfügbar ist. Darauf basierend wird die minimale Ladeleistung berechnet, die zum vollständigen Aufladen des Fahrzeuges erforderlich ist. Der Ladevorgang wird also zeitlich gestreckt, um die Belastung für das Stromnetz zu reduzieren. Beim Solarladen wird das Elektrofahrzeug genau dann geladen, wenn es einen Überschuss an Sonnenenergie gibt. Dadurch wird möglichst viel erneuerbare Energie für den Ladevorgang eingesetzt. Das Übernachtladen erfolgt zwischen 20 Uhr und 5 Uhr, wenn die Netzlast im Quartier vergleichsweise gering ist.
Die Simulationen zeigten, dass es keine nennenswerten Synergieeffekte für die Netzintegration der Elektrofahrzeuge gibt, wenn dem Energienetz lediglich regenerative Komponenten ohne Steuerung hinzugefügt werden. Allerdings heben intelligente Ladestrategien dieses Potenzial und führen zu einer verbesserten Spannungshaltung. Die Netzaufnahmefähigkeit kann um 23 % gesteigert werden, indem Komponenten (z. B. PV-Anlagen, Batteriespeicher und Energiemanagementsysteme) mit einem Netzkorrekturalgorithmus kombiniert werden. Der Algorithmus erkennt Spannungsbandverletzungen und weist das Energiesystem an, das vorhandene Flexibilitätspotenzial (z. B. von Batteriespeichern) zu nutzen, um eine Netzüberlastung zu verhindern und die Versorgungssicherheit weiterhin zu gewährleisten. Werden zusätzlich intelligente Ladestrategien eingesetzt, führt dies zu einer Erhöhung der Netzaufnahmefähigkeit für Elektrofahrzeuge um 43 %.
Durchstichszenario „Netzbetrieb“
Traditionelle Energienetze liefern vorwiegend Energie aus Kohle, Gas oder Atomkraft. Die Stromnetze können von zentralen Steuerungseinheiten geregelt werden. Für die Versorgung mit erneuerbarer Energie ist dies nicht möglich, da sie dezentral – also von verschiedenen Akteuren wie Privathaushalte oder Windkraftanlagen – erzeugt und ins Netz eingespeist wird. Die Einspeisung schwankt je nach Sonneneinstrahlung, Windkraft usw., sodass Flexibilitätspotenziale entstehen (z. B. Überschüsse). Deshalb müssen diese Energienetze digital gesteuert werden, wodurch sich die Anforderungen an die Betriebsführung erhöhen. Im Durchstichszenario „Netzbetrieb“ untersuchen die Wissenschaftler*innen, wie digitalisierte Energiesysteme, in denen erneuerbare Energien und entstehende Flexibilitäten integriert und organisiert werden, sicher und stabil betrieben werden können. Dafür koppelten sie zwei Forschungslabore: das Renewable Energy Lab der Hochschule Emden Leer und das Netzlabor des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, das sich am Institut für Vernetzte Energiesysteme in Oldenburg befindet.
Wir standen vor der Herausforderung, die Software und die Hardware von zwei unterschiedlichen Laboren an entfernten Standorten zu verknüpfen und die verteilten Systeme zu timen und zu managen. Normalerweise hätten wir den Netzbetrieb auch in einem Labor untersucht. Aber wir wollten herausfinden, wie das Labor-Equipment standortübergreifend verbunden werden kann. Das bietet uns effizientere und umfangreichere Möglichkeiten, um zukünftig noch komplexere Fragestellungen bearbeiten zu können.
Die Wissenschaftler*innen analysierten zunächst die IT-Strukturen der Labore und identifizierten Schnittmengen. Daraufhin legten sie Kriterien für die Modellierung fest, z. B. welche Szenarien sie simulieren wollten und mit welcher Software. Außerdem wählten sie das Stromnetz aus, das sie der Untersuchung zugrunde legten. Darüber hinaus stellten sie Daten von Verbraucher*innen bereit und prüften die Hardware hinsichtlich der Sicherheit im Labor und der Integration von Messsystemen. Schließlich führten sie erste Simulationen mit den gekoppelten Laboren durch.
Es zeigte sich, dass laborübergreifende Simulationen über weite Entfernungen hinweg möglich sind. Selbst Echtzeitanwendungen lassen sich realisieren, wenn diese bei der Entwicklung der Modelle von Anfang an mitgedacht werden. So konnte das Batteriespeichersystem im Renewable Energy Lab in Emden auf Spannungsprobleme im elektrischen Netz im Netzlabor in Oldenburg reagieren und einen normalen Zustand im elektrischen Netz wiederherstellen.
Zu diesem Thema sind folgende wissenschaftliche Veröffentlichungen erschienen:
MOSAIK 3.0: Combining Time-Stepped and Discrete Event Simulation
Analysis of Grid Capacity for Electric Vehicles in Districts with a Major Need for Sustainable Energy Refurbishment: The Case of a District in Lower Saxony, Enviornmental Informatics - A bogeymanor saviour to achieve the UN Sustainable Development Goals?
Im kommenden Jahr werden die Wissenschaftler*innen die letzten Simulationen abschließen. Dazu gehört es zunächst, Modelle aufzubereiten sowie Daten und Skripte für die Projektplattform zur Verfügung zu stellen. Daraufhin werden sie weitere Labore in die Simulationen einbinden. Außerdem werden sie die beim eingesetzten Kopplungsframework gesammelten Erfahrungen aufbereiten und ein portables Kopplungssystem mit kompakten Industrie-PCs umsetzen. Der Gedanke dabei ist, ein Plug & Play Kopplungs-Kit aufbauen, um anderen Wissenschaftler*innen einen einfachen Zugang zur Kopplung von Laboren zu ermöglichen. Darüber hinaus werden sie die Durchstichszenarien „Flexibilitäten in Energiesystemen“ und „Störungen von Informations- und Kommunikationstechnologien“ untersuchen.